
Am 18. und 19. Februar 2025 fand an der Katholischen Hochschule Berlin das Abschlusstreffen der BMBF-Fördermaßnahme „Hybride Interaktionssysteme zur Aufrechterhaltung der Gesundheit auch in Ausnahmesituationen“ (HIS) statt. Das abwechslungsreiche Programm aus Vorträgen, Projektpräsentationen und Podiumsdiskussionen bot den 120 Teilnehmenden reichlich Gelegenheit zum Austausch.
Seit 2022 arbeiteten die 13 interdisziplinären Verbundprojekte an hybriden Interaktionssystemen, die physische und digitale Prozesse in der Gesundheitsversorgung miteinander verknüpfen. Ziel der Fördermaßnahme HIS war es, digitale Lösungen zu erforschen und in realen Szenarien zu testen, die sich insbesondere für Situationen eignen, in denen medizinische Versorgung eingeschränkt ist – etwa aufgrund von Personalmangel, räumlicher Distanz oder Krisensituationen wie der COVID-19-Pandemie. Die dabei entwickelten, auf Künstlicher Intelligenz (KI) basierenden Assistenzsysteme zur multimodalen Interaktion und digitalen Vernetzung sollen nicht nur die Lebensqualität von Patientinnen und Patienten verbessern, sondern vor allem das medizinische Fachpersonal nachhaltig entlasten.
Das wissenschaftliche Begleitprojekt CoCre-HIT, geleitet von Prof. Dr. Claudia Müller (Universität Siegen), widmete sich partizipativen Aspekten der Gesundheitsforschung und der Integration hybrider Interaktionssysteme in die medizinische Versorgung. Ziel war es, die in den Projekten entwickelten Konzepte und Technologien gemeinsam mit künftigen Anwendenden zu erproben. In ihrem Vortrag hob Prof. Müller den Aspekt von „Invisible Work“ hervor: Viele essenzielle Aufgaben wie Vernetzung, Koordination und Organisation in interdisziplinären Forschungsprojekten bleiben oft unsichtbar, obwohl sie für den Erfolg entscheidend sind. Mit dem „CoCre-HIT-Kompendium“ wurde deshalb ein wissenschaftliches Rahmenwerk entwickelt, das partizipative Methoden systematisch erfasst und strukturiert. Weitere Informationen finden Sie hier.
Ein Highlight der Veranstaltung war der direkte Austausch über die Projektergebnisse. Neben Pecha-Kucha-Kurzpräsentationen und Poster-Sessions bot eine interaktive Ausstellung die Möglichkeit, die entwickelten Technologien live und in Farbe zu testen. Hier einige Beispiele:
Eine Projektübersicht sowie Zusammenfassung der Projektergebnisse finden Sie hier.
Am Abend diskutierten Prof.in Dr.in Ceenu George (TU Berlin), Tim Fellerhoff (Fimo Health), Beatrice Lorenz (TÜV AI.LAB) und Sebastian Straub (VDI/VDE-IT) unter der Moderation von Daniel Krupka (Gesellschaft für Informatik e.V.), wie sich Innovation und Regulierung im Bereich digitaler Gesundheitsanwendungen sinnvoll ausbalancieren lassen könnten. Ein Schwerpunkt lag auf der europäischen Medizinprodukteverordnung (MDR) und dem AI Act, die hohe Anforderungen an digitale Gesundheitslösungen stellen. Während einige Podiumsteilnehmenden betonten, dass diese Regulierungen für Patientensicherheit und Vertrauen essenziell seien, kritisierten andere, dass zu strenge Vorgaben Start-ups ausbremsen.
Auch die DiGA-Zertifizierung für digitale Gesundheitsanwendungen wurde kontrovers diskutiert. Die umfangreichen Studienanforderungen und langen Genehmigungsprozesse verzögerten oft den Markteintritt und verursachten hohe Kosten, sodass einige Unternehmen alternative Geschäftsmodelle bevorzugten, hieß es. Einig waren sich die Diskutantinnen und Diskutanten, dass es agilere Zulassungsverfahren braucht, die Innovationen fördern, ohne Sicherheitsstandards zu senken. Zudem müsse die Zusammenarbeit zwischen Forschung, Industrie und Gesetzgebung intensiviert werden, um Gesundheitslösungen schneller in die Praxis zu überführen.
Der KI-Experte Dr. Sebastian Hallensleben thematisierte in seiner Keynote die tiefgreifenden Veränderungen, die generative KI nicht nur im Gesundheitswesen mit sich bringt, und wie sie sich auf Vertrauen, Fairness und Resilienz auswirkt. Er betonte, dass Menschen schon für alltägliche Informationen auf verlässliche Identitäten und ehrliche Systeme angewiesen seien. Generative KI erschwere die Unterscheidung zwischen echten und künstlichen Inhalten. Medienbildung allein reiche nicht aus und Erkennungstools seien ein „Katz-und-Maus-Spiel“.
Als Lösung schlug er Identitätsökosysteme vor, die Nutzerinnen und Nutzer als echte Menschen verifizierbar machten. Zudem verwies er auf Estland, wo alle Zugriffe auf Patientendaten dokumentiert werden – in seinen Augen ein Modell für eine transparente digitale Strategie. In Deutschland hingegen fehle eine langfristige Digitalstrategie. Auch hob er hervor, dass große Plattformen von sich aus „kein Interesse an der Unterscheidung zwischen echten Nutzenden und Bots“ haben, da automatisierte Inhalte ihre Reichweite und somit ihre Werbeeinnahmen steigerten.
Am zweiten Veranstaltungstag diskutierten die Moderatorin Prof. Dr. Cordula Endter mit Katharina Giordano (Projekt HISSS), Paul Chojecki (Projekt EPSILON) und Florian Fischer (Projekt CoCre-HIT) über die Zukunft partizipativer Technikentwicklung.
Die Diskutantinnen und Diskutanten thematisierten vor allem die zeitliche Dimension von Innovationen. Laut dem Konzept der „Long Nose of Innovation“ dauere es oft 20 bis 30 Jahre, bis eine Idee in der Praxis ankäme. Partizipation könne diesen Prozess verkürzen, indem Nutzerinnen und Nutzer frühzeitig eingebunden und der tatsächliche Bedarf besser adressiert würden. Allerdings wurde auch betont, dass Partizipation mitunter zeitaufwändig sei. Förderprogramme setzten jedoch oftmals auf starre Zeitpläne. Mehr Flexibilität und Mut zu Anpassungen während eines Projekts seien daher essenziell.
Ein weiteres Thema war die Wertschätzung der in die Forschung eingebundenen Privatpersonen. Viele brächten sich ohne angemessene Vergütung ein, obwohl ihr Beitrag in der Erprobung neuer Technologien entscheidend sei. Ein Vorschlag war die Schaffung eines Pools von festen Anwenderinnen und Anwendern, der regelmäßig in Forschungsprojekte eingebunden und fair entlohnt würde. Alternativ könne Gamification durch Belohnungssysteme die Motivation steigern. Abschließend wurde betont, dass erfolgreiche Partizipation nicht nach einem festen Schema erfolgen könne. In Zukunft – also in zehn Jahren – könnten Co-Forschende von Beginn an integraler Bestandteil von Konsortien sein, um die Technikentwicklung nachhaltiger und praxisnaher zu gestalten.
Das Abschlusstreffen markierte die letzte offizielle Zusammenkunft der Förderprojekte. Gleichwohl ist die Arbeit in den Projekten noch nicht vollkommen abgeschlossen. Der Großteil der Projekte wird noch bis Sommer bzw. Ende 2025 weiterarbeiten.
Bekanntmachungswebsite
Website des Begleitprojekts CoCre-HIT
Ergebnissteckbriefe HIS