Ein halbes Jahr nach der ersten Clusterkonferenz "Zukunft der Pflege" ziehen die Pfelgepraxiszentren Bilanz: Anfang Juni 2018 hatten sich rund 200 Akteure aus der Pflegewissenschaft und -praxis in Oldenburg getroffen, um sich über den Entwicklungsstand neuer Technologien und ihre Anwendung in der Pflegepraxis zu informieren und auszutauschen.
Im Interview:
Es konnten Kontakte in unterschiedliche Richtungen geknüpft und Ressourcen geschaffen werden. Das hätten wir ohne Clusterkonferenz so nicht erreicht.
Wenn wir technologische Innovationen und deren Testung und Einsatz in der Pflege in den Fokus stellen, stehen für uns zwei Themen im Vordergrund: Es gilt, den Menschen, etwa mit kognitiver Beeinträchtigung und Demenz, konsequent einzubeziehen. Konkret betrifft dies die Betrachtung von Pflegeabläufen im Krankenhaus genauso wie bestimmte Kommunikationsprozesse und die Anwendung und Optimierung von Leit- und Orientierungssystemen. Zweitens müssen wir für Pflegende und weitere Berufsgruppen in der Patientenversorgung eine bedarfsgerechte Gestaltung des Innovationsmanagements für den Einsatz neuer Technik erreichen.
Das Cluster Zukunft der Pflege hat mit dem Kongress im Sommer einen passenden Startschuss für die Zusammenarbeit in den kommenden fünf Jahren gesetzt. Die Themensetzung des Kongresses hat gezeigt, dass wir im Cluster an verschiedenen Stellen neben den vielen wichtigen Themen von morgen auch die Themen von übermorgen im Blick haben.
Unser gemeinsames Ziel ist es zu erreichen, dass Technik und Pflege in der Außenwahrnehmung nicht mehr als entgegengesetzte Pole wahrgenommen werden. Als Cluster können wir aus einem gebündelten Erfahrungs- und Wissensschatz heraus die wichtigen Themen gemeinschaftlich angehen und Botschaften formulieren. Das sorgt für mehr Sichtbarkeit. Die Ideen der einzelnen Zentren für die Zukunft der Pflege werden also nicht bloß addiert: Wir lernen voneinander und miteinander. In der Folge können wir schneller und näher am Bedarf in der Praxis arbeiten. Die Teamarbeit heißt auch Offenheit miteinander und füreinander.
Zur Clusterkonferenz wurden verschiedene Arbeitsgruppen gebildet, die nun gemeinsam und übergreifend an wichtigen Themen arbeiten und Lösungen für zentrale Aufgabenstellungen diskutieren und umsetzen. Operative Vernetzung ist dabei der Schlüssel für den Erfolg.
Wie ein Markt der Möglichkeiten konnte man in Oldenburg mit seinen ganz unterschiedlichen Sinnen Produkte, Konzepte und Sichtweisen fühlen, sehen, hören und im Einklang oder kontrovers diskutieren. Trotz aller Euphorie über Innovationschancen und das Testen von Möglichkeiten wurden moralisch ethische Zusammenhänge immer mitgedacht. Der Patient und seine Interessen und Bedürfnisse wurden somit erwähnt und berücksichtigt.
Zurück im eigenen PPZ und bei den Projekten vor Ort ist es notwendig, engmaschig mit den Clusterpartnerinnen und -partnern im Gespräch zu bleiben, damit Synergien gut genutzt und Dopplungen vermieden werden. Es gilt vor allem Plattformen zu schaffen, die es ermöglichen, transparent und ohne Zeitverlust wechselseitig Zugriff auf wichtige Informationen, Erfahrungen und Entscheidungen zu haben und sich im offenen Dialog auszutauschen. Besonders deutlich wird das an einem Zitat von Halford E. Luccock: „No one can whistle a symphony. It takes an orchestra to play it.”
Die Herausforderung heißt: wirkliche Innovation in den PPZ zu leben und trotzdem die Bodenhaftung und den Kontakt mit den Pflegenden vor Ort nicht zu verlieren. Insbesondere durch den zunehmenden Fachkräftemangel und den damit verbundenen knappen Ressourcen braucht es verstärkt Engagement und Öffentlichkeitsarbeit auf allen Ebenen. Und: Technik kann nur unterstützen, wenn die Pflegenden in Entscheidungen einbezogen werden.
Oldenburg hat mir eines verdeutlicht: Die dringend notwendige Verzahnung von Wissenschaft und Praxis steht für das Themenfeld Pflege noch am Beginn. Auf der Tagung wurde z. B. eine Fülle an relevanten und hochkomplexen Forschungslinien präsentiert. Hier mangelt es aber noch am Austausch mit den Akteuren in der Praxis. Im Cluster müssen wir also weiter an Lösungen arbeiten, mit denen wir die Verbindungen zwischen Wissenschaft, Anwendern, Wirtschaft und Industrie aktiver gestalten und Türen öffnen können.
Mit unserem Modell wollen wir im Pflegepraxiszentrum Nürnberg eine Struktur und Arbeitsroutine entwickeln, mit der wir Produkterprobungen im Echtbetrieb von Pflegeeinrichtungen bis zu einem gewissen Grad standardisieren können. Gleichzeitig muss unser Prozess flexibel genug konzipiert sein, um auf immer neue Anforderungen und Entwicklungen reagieren zu können. Die Analyse der ELSI-Kriterien reicht uns hierbei nicht - wir wollen auch die ökonomischen, praktischen und technischen Aspekte neuer Produkte betrachten. Unsere drei Initialprojekte im PPZ-Nürnberg, die sensorgestützte Sturzerkennung, eine App-basierte Unterstützung von Menschen mit Kommunikationseinschränkungen sowie der Einsatz von Virtual Reality in der Geriatrischen Rehabilitation und Sozialen Betreuung im Pflegeheim, nutzen wir dazu, unser Arbeitsmodell zu entwickeln und zu erproben.
Als Herausforderung für die Pflegepraxis und insofern auch für die Arbeit des Clusters sehe ich die Bewältigung eines extrem steigenden Tempos bei den technischen Innovationen. Gleichzeitig haben wir es mit einer hohen Komplexität der zahlreichen bereits abgeschlossenen, aber auch neu gestarteten Projektförderungen zu tun. Nur wenige Produkte sind bereits im Pflegemarkt angekommen. Wir werden daher Ressourcen im Cluster weiter bündeln und uns in unserer Vernetzung bemühen, Synergie-Effekte zu erkennen und zu nutzen. Vor allem wollen wir dazu beitragen, dass für Testungen im Pflegebereich tragfähige, von möglichst vielen Stakeholdern akzeptierte Strukturen entstehen und wir bald ein zukunftsfähiges Modell anbieten können.