Am 4. Dezember 2019 kamen im Berliner Harnack-Haus die BMBF-Förderprojekte aus dem Bereich Mobilität zusammen.
Während die Forschenden aus der Bekanntmachung „MTI für eine intelligente Mobilität: Verlässliche Technik für den mobilen Menschen“ (IMO) ihre Ergebnisse präsentierten, erhielten die Projektgruppen der kürzlich gestarteten Projekte der Bekanntmachung „Individuelle und adaptive Technologien für eine vernetzte Mobilität“ (VMO) die Chance, sich von den Forschungsergebnissen der auslaufenden Projekte für ihre eigene Forschung inspirieren zu lassen. Insgesamt nahmen rund 80 Forscherinnen und Forscher teil, um über die Zukunft der Mobilität zu diskutieren.
Prof. Dr. Wolfgang Gruel von der Hochschule der Medien, Stuttgart verdeutlichte zu Beginn seiner Keynote, welchen immensen Einfluss das Smartphone auf die Individualmobilität habe: Moderne Konzepte wie Carsharing, Pooling (Mitfahrgelegenheiten) oder von Privatpersonen durchgeführte Taxifahrten (Uber) seien ohne das Smartphone undenkbar. Der nächste technische Sprung sei das autonome Fahren, dem viele Menschen entgegenfiebern würden. Er warnte dabei jedoch vor allzu romantisierten Erwartungen an Technologie. Diese habe zwar das Potenzial, einige unserer aktuellen Herausforderungen im Bereich Mobilität zu lösen, allerdings sei sie auch kein Allheilmittel. So führte er an, dass autonomes Fahren zwar das Zeug dazu habe, Autofahrten komfortabler, günstiger und auch sicherer zu machen, es sei jedoch falsch zu glauben, dass autonomes Fahren zu einer Verminderung von Staus führen könne. Der Mensch könne seine Zeit im Stau nur anders nutzen, weil er nicht mehr aktiv am Steuer sitzen müsse. Auch argumentierte Gruel, es sei keinesfalls zu erwarten, dass Elektromobilität den Verkehr künftig leiser machen werde. Dazu lieferte er einen eindrucksvollen Beleg, indem er den Anwesenden Soundproben aus dem von ihm durchgeführten Projekt „How does tomorrow sound“ vorspielte. Hier hatten Forschende aktuelle Audio-Aufnahmen aus dem Straßenverkehr so modifiziert, dass das Klangbild der heutigen Verbrennungsmotoren durch den der künftigen Elektromotoren ersetzt wurde. Das Ergebnis war eindeutig: Verkehr bleibt gleichbleibend laut. Zwar fällt das „Knattern“ der Verbrennungsmotoren weg, jedoch bleiben Wind- und Rollgeräusche und sorgen für eine entsprechende Geräuschkulisse.
Immer wieder betonte Gruel, dass man bei der Weiterentwicklung des autonomen Fahrens die psychologischen und soziologischen Komponenten im Blick behalten müsse. Dabei formulierte er einige Fragen, die bei der Entwicklung von innovativen Mobilitätskonzepten von zentraler Bedeutung sein könnten: Sind Menschen bereit, die Kontrolle völlig an das Auto abzugeben? Wie wohl fühlen sich Menschen, wenn sie bei einer autonomen-Taxifahrt mit anderen, fremden Menschen auf engstem Raum zusammensitzen ohne dass ein menschlicher Taxifahrer als natürliche Autorität für Ordnung sorgt? Und was bedeuten die Möglichkeiten des autonomen Fahrens für die Verkehrssituation in den Städten? Müssen nicht viel mehr Straßen gebaut werden, wenn künftig auch all jene Menschen mit dem Auto unterwegs sind, die heute keinen Führerschein erhalten? Gruel machte deutlich, dass die Zukunft der Mobilität nicht einfach daherkomme, sondern aktiv gestaltet werden müsse. Diese Aufgabe sei jedoch keine rein technische, vielmehr müssten sozialwissenschaftliche, juristische und auch politische Fragestellungen miteinbezogen werden.
Am Nachmittag stellten die Projektgruppen ihre Projektergebnisse vor. Die Gruppen waren thematisch aufgeteilt in „Kooperative Fahrer-Fahrzeug-Interaktion“ und „Sicherheit für verwundbare Teilnehmer“:
Prof. Dr. Frank Flemisch von der RWTH Aachen stellte die Ergebnisse des Projekts Vorreiter vor. Die von ihm geleitete Projektgruppe entwickelte ein Lenk- und Beschleunigungssystem, das mithilfe von Gestensteuerung funktioniert. Die intuitiven Gesten, mit denen Fahrerinnen und Fahrer Spurwechsel vornehmen oder die Geschwindigkeit des Fahrzeugs regulieren können, sind der Interaktion zwischen Pferd und Reiter nachempfunden. Insbesondere ältere Menschen oder mit körperlichen Einschränkungen verschaffen sie eine enorme Erleichterung und machen das Autofahren ein Stückweit sicherer.
Die Forschenden der Projektgruppe Safety4Bikes entwickelten ein modulares Assistenzsystem für fahrradfahrende Kinder, welches aus fest auf dem Fahrrad verbauten Modulen sowie einem speziellen Helm und einer Brille mit Head UP Display besteht. Mit diversen Kameras sowie perspektivisch auch durch den Einsatz der sogenannten Car2X Technologie, überwacht das System sowohl den Straßenverkehr als auch das Kind beim Fahren. Tritt eine Gefahrensituation ein, wird das Kind über Vibrationen am Lenker, durch Warnhinweise im Helm oder in der Brille gewarnt. Car2X sendet Warnungen an Autos in der Nähe. Unterstützt wird das System dabei von einer App mit Gamification-Elementen, die der spielerischen Vor- und Nachbereitung von Fahrten dient. Eine kurze Präsentation des Demonstrators gab uns der Projektleiter Lennart Brink-Abeler von der GeoMobile GmbH:
Wenn sich blinde Menschen in fremden Städten zu Fuß von A nach B bewegen möchten, können sie nicht einfach eine Navigations-App auf ihrem Mobiltelefon nutzen. Dazu ist die Technologie zu ungenau und die verfügbaren Karten-Daten allein enthalten nicht genügend Informationen, um Menschen ohne Sehkraft zu leiten. Aus diesem Grund hat die Forschergruppe des Projekts TERRAIN ein Assistenzsystem namens Routago entwickelt, das als App auf jedem gängigen Smartphone funktioniert. Dabei arbeitet das System mit speziell auf die Bedürfnisse blinder Menschen angepassten Kartendaten und einer Bilderkennung, die Mithilfe der Smartphone-Kamera Hindernisse erkennt und klassifiziert. Über einen Gürtel mit Vibrationselementen, die im Uhrzeigersinn angeordnet sind, erhalten Blinde somit eine intuitive Navigationshilfe. Routago soll in Kürze auf den Markt kommen.
Bei der anschließenden Podiumsdiskussion tauschten sich die Projektleiter über die Zukunft der Mobilität aus. Alle waren sich einig, dass die Anzahl der Autos auf den Straßen reduziert werden müsse, weil gerade Städte schon ihre Kapazitätsgrenzen überschritten haben. Auf die Frage, ob die Anwesenden bereit seien, komplett auf das Selbstfahren zu verzichten, zeigte sich die Gruppe unerwartet zögerlich. Autofahren bereite vielen einfach zu viel Spaß, um das Steuer ganz abzugeben. Gerade in der von Stau geprägten Verkehrssituation in Ballungszentren gelte es allerdings, zu Fahrten im privaten Pkw, auch zum privaten autonomen Fahrzeug, attraktive Alternativen weiterzuentwickeln. Für den ländlichen Raum wurde der Einsatz von autonom fahrenden Fahrzeugen zur besseren Abdeckung als sinnvoll bewertet. Viele seien auch selbst bereit, sich von einem autonomen Auto fahren zu lassen, um die Zeit sinnvoller zu nutzen.
Immer wieder bekam das Publikum die Möglichkeit, an der Diskussion teilzunehmen: Es wurden Live-Umfragen durchgeführt, an denen man mit dem eigenen Smartphone teilnehmen konnte. Die Ergebnisse waren sofort verfügbar. So wurde unter anderem die Frage gestellt, ob man seine eigenen Kinder allein mit einem autonomen Auto fahren lassen würde. Das Ergebnis war sehr ausgeglichen: 24 Personen stimmten mit ja, immerhin 21 stimmten mit nein. Die Diskussion spiegelte eine zentrale Erkenntnis des Tages wider: Die Diskussion über Mobilitätskonzepte wird uns als Gesellschaft noch viele Jahre begleiten.