Am 16. und 17. September trafen sich rund 300 Vertreterinnen und Vertreter aus Pflegepraxis, Technik und Wissenschaft zur 2. Clusterkonferenz „Zukunft der Pflege“ in Berlin, um über den Einsatz technischer Innovationen in der Pflege zu diskutieren.
Wer Pflege braucht, soll so gut wie möglich versorgt werden und von neuen Technologien rasch profitieren. Die Rahmenbedingungen werden aber durch den demografischen Wandel und die steigende Zahl der Pflegebedürftigen schwieriger. Damit auch künftig eine gute Pflege möglich bleibt, arbeiten seit 2017 im BMBF-Cluster „Zukunft der Pflege“ Akteure aus Wissenschaft und Praxis gemeinsam an technischen Innovationen und deren sinnvollen Einsatz im Pflegealltag. Dabei setzt das BMBF den Fokus auf eine bessere Vernetzung der Beteiligten, um den Weg der Technologien in den Pflegealltag zu begleiten und zu beschleunigen.
In Berlin zog das Cluster nun ein Zwischenfazit: Entscheidend, so der Konsens, ist, dass erfolgreiche Neuerungen schnell den Weg in die Praxis finden. Dafür ist ein offener Austausch notwendig. Die Konferenz wurde deshalb dafür genutzt, sich über Erfahrungen und Erfolge aber auch Herausforderungen und Fehlschläge auszutauschen. Nur so wird der Prozess der Digitalisierung in der Pflege erfolgreich gelingen.
Wie steht es um die digitalen Lösungen in der Pflege?
Welche Technologien gibt es bereits? Und wie werden Systeme gefunden, die auch praxistauglich sind? In begleitenden Sessions und einer Ausstellung präsentierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer erfolgreiche Praxisbeispiele sowie Forschungsprojekte zum Einsatz von Technik in der Pflege. Forschungsverbünde, Hersteller und kreative Start-ups zeigten dabei Technologien, die die Arbeit von Pflegekräften und pflegenden Angehörigen gezielt unterstützen und gleichzeitig zu mehr Lebensqualität von pflegebedürftigen Menschen beitragen können. Dazu gehören robotische Assistenzsysteme oder sensorische Lösungen beispielsweise zur Früherkennung von Inkontinenz sowie Apps oder smarte Wearables. Ziel ist es, anhand der assistierenden Anwendungen die Selbstständigkeit zu stärken und damit auch die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern.
Auf der Konferenz wurden auch gesellschaftliche Fragen diskutiert, zum Beispiel welche Erfahrungen Anwenderinnen und Anwender mit neuen Technologien machen und wie es gelingt, bei der Entwicklung dieser Technologien auch die Pflegebedürftigen einzubeziehen.
Zwischen Glaskugel und Roadmap
Doch der Blick fiel nicht nur auf den derzeitigen und mittelfristigen Einsatz technischer Innovationen. Zukunftsforscher Professor Dr. Eckard Minx malte anhand berühmter Zitate von Philosophen und historischen Persönlichkeiten in seiner Keynote am ersten Konferenztag ein Bild seiner Vision von der Zukunft. So sei es unausweichlich, dass wir künftig mit sozialen Robotern leben werden, dass KI die Medizin so umwälzen wird, wie einst die Röntgenbilder Anfang des 20. Jahrhunderts. Das „Wie“ sei allerdings nicht vorherzusagen. Die Zukunft könne der Mensch nicht vorwegwissen, so Minx. Vom Weg abzukommen sei wichtig, um nicht auf der Strecke zu bleiben oder wie Karl Valentin, deutscher Komiker und Volkssänger, einst sagte: „Alle Menschen sind klug: die einen vorher, die anderen nachher.“
Professorin Dr. Christel Bienstein, Pflegewissenschaftlerin und Präsidentin des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe (DBfK), referierte über den aktuellen Stand und den Arbeitsalltag in der Pflege unter dem Gesichtspunkt der Digitalisierung. Dabei hob sie die demografischen Herausforderungen aus der Perspektive der Pflegekräfte hervor: „Wir sind spät dran in der Pflege und haben uns nur wenig systematisch mit neueren Modellen in der Pflege beschäftigt.“
Wir sprachen zur Konferenz mit Professorin Bienstein über die Möglichkeiten und Grenzen von Digitalisierung in der Pflege. Hier geht es zum ausführlichen Interview
Insgesamt 30 Vorträge der Beteiligten im Cluster gaben in begleitenden Sessions weitere Einblicke in die Anwendung von digitalen Technologien in den unterschiedlichen Pflegekontexten, zu den Erwartungen und Einstellungen von Pflegekräften und in konkrete praktische Lösungen im Pflegealltag.
Start-ups als Innovationstreiber in der Gesundheit
Der zweite Konferenztag stand ganz im Zeichen von Neugründungen. Über ihre eigenen Erfahrungen sprach Keynote-Sprecherin Cornelia Röper, Vorständin des Verbandes für Digitalisierung in der Sozialwirtschaft e. V. und Gründerin von Wefugees, einer der größten Online-Community für Geflüchtete und Helfer weltweit. Ihre jüngste (Mit-)Gründung, die Mitunsleben GmbH, ist ein Start-up aus 15 gemeinnützigen Gesellschaften. Ziel ist es, Menschen dabei zu unterstützen, schnell und einfach das für sie passende Assistenz-, Pflege- oder Unterstützungsangebot zu finden und in Anspruch nehmen zu können. „Mitunsleben“ ist dabei die erste Plattform, die direkt in der Zusammenarbeit von Leistungserbringern aus der Sozialwirtschaft entwickelt und angeboten wird. Damit soll ein transparentes und vertrauenswürdiges Angebot geschaffen werden, das schnell bei Pflegebedürftigen ankommt. Launch der Plattform ist für Ende Oktober 2019 geplant.
Lösung intelligente Sensorik gewinnt Innovationswettbewerb
Zum Abschluss der Konferenz fiel durch ein Publikums-Voting die Entscheidung im begleitenden Innovationswettbewerb. Gesucht waren innovative technische Healthcare-Lösungen von Start-ups, die beim Lösen akuter Probleme helfen und mit denen künftigen Herausforderungen in der Pflege begegnet werden kann. Der Expertenbeirat des PPZ Berlin, bestehend aus ehrenamtlichen Experten aus Politik, Verwaltung, Verbänden, Forschung und Kassen, wählte aus insgesamt 17 Einreichungen sechs Unternehmen aus, die ihre Lösung live auf der Clusterkonferenz präsentieren durften. Den Preis, eine Teilnahme am Pflegetag 2020 in Berlin, wurde von Mario Czaja, Geschäftsführer der „Die Brückenköpfe GmbH“ und Juror im Wettbewerb, überreicht.
Zur Konferenz sprachen wir mit Mario Czaja über die Wichtigkeit von Start-ups und kreativen Köpfen für die Zukunft der Pflege. Hier geht es zum Interview
Gewinner des Innovationswettbewerbs war das Assistenzsystem SynoSense Care, ein ganzheitliches Assistenzsystem, das Gefahrensituationen im Raum erkennen kann, und dabei die Privatsphäre des Einzelnen nicht aus dem Blick verliert. Dafür werden Lösungen aus dem Bereich des maschinellen Lernens verwendet - intelligente Programme also, die aus Daten lernen und das Gelernte verallgemeinern. Nach dem gleichen Prinzip arbeiten beispielsweise die Google- und die iPhone-Spracherkennungen.
In der folgenden Podiumsrunde nahm Felix Plum von Syno-IQ teil und sprach über die Motivation des Gründerteams: „Einige Mitglieder unseres Teams haben Angehörige, die sich bei Stürzen starke Verletzungen zugezogen haben und die von einem Assistenzsystem profitiert hätten.“ Ein Austausch der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Pflegeeinrichtungen und Technikherstellern über gängige Assistenzsysteme habe ergeben, dass viele dieser Systeme durch niedrigauflösende Sensorik oft Fehlalarme auslösen. Auch der Datenschutz wurde vielfach als Problem gesehen.
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Mensch muss im Mittelpunkt stehen – die Digitalisierung macht es möglich
Insgesamt zeigte die Konferenz, dass das Thema Pflegetechnologien im Pflegalltag Fahrt aufgenommen hat und dass Digitalisierung nicht bedeute, Pflegefachkräfte zu ersetzen. Der Mensch bleibt im Mittelpunkt. Die hohe Bedeutung der Digitalisierung zeigte sich in der unerwartet hohen Besucherzahl aus allen Bereichen der Pflege – von der Pflegepraxis über Wissenschaft und außeruniversitären Forschungseinrichtungen bis hin zu Unternehmen – sowie der hohen Anzahl und Bandbreite an Vorträgen zur Konferenz. Der darüber hinaus geführte bilaterale Austausch in den Pausen und die intensiv geführten Diskussionen im Plenum und in den Workshops unterstreichen die Offenheit, ein motiviertes Mitwirken und das entschlossene Engagement aller Beteiligten, die Zukunft der Pflege mitzugestalten.
Die nächste Konferenz wirft ihre Schatten voraus. Die 3. Clusterkonferenz „Zukunft der Pflege“ findet am 16. und 17. September 2020 in Nürnberg statt. Veranstalter ist das PPZ Nürnberg. Hier werden Akteure und Experten wieder die Chance haben, mit unterschiedlichem Erfahrungshintergrund zu diskutieren und neue Perspektiven zu entwickeln.