Technik mit und für pflegende Angehörige erforschen

Wie können pflegende Angehörige durch die Einbettung interaktiver Technologien in die Versorgungstrukturen besser unterstützt werden? Dies diskutierten 18 Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis in einem virtuellen Workshop. Dabei ging es um spezifische Bedarfe sowie Möglichkeiten und Herausforderungen für die Einbindung von Technologien in den Praxisalltag pflegender Angehöriger.

© BMBF

Die COVID-19-Pandemie hat besonders deutlich gemacht, welch tragende Säule pflegende Angehörige im deutschen Gesundheitssystem einnehmen. Denn die Krise trifft die Risikogruppe der Pflegebedürftigen besonders hart – nicht nur in Pflegeheimen. Betroffen ist eine große Anzahl von Angehörigen. Denn mehr als die Hälfte der rund 4 Millionen Pflegebedürftigen in Deutschland wird allein durch Angehörige zu Hause versorgt. Bei knapp einem Viertel der Pflegebedürftigen unterstützen teilweise ambulante Pflegedienste die informell Pflegenden.

Der Anteil zu Hause gepflegter Menschen könnte noch steigen, denn nach Umfragen bevorzugen 80 Prozent eine Pflege in den eignen vier Wänden. Die Zahlen verdeutlichen die zentrale Rolle, die pflegende Angehörige im Gesundheitssystem einnehmen. Neben Familie gehören zu Angehörigen auch häufig Freunde, Bekannte sowie Nachbarinnen und Nachbarn. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) beabsichtigt daher im Rahmen der Initiative Pflegeinnovationen 2030 pflegende Angehörige zu unterstützen und dadurch auch die bedarfsgerechte Pflege zu stärken.

Im Forschungsprogramm „Miteinander durch Innovation“ werden interaktive Technologien gefördert. Diese haben ein großes Potenzial, das auch zur Verbesserung von Gesundheit und Lebensqualität pflegender Angehöriger beiträgt. Doch wie kann es gelingen, dies konkret für pflegende Angehörige umzusetzen? Der Workshop am 26. Januar 2021 zeigte: Pflegende Angehörige haben sehr individuelle Bedarfe und Wünsche, und sie müssen von Beginn an in die Entwicklung von Technik und Anwendungen einbezogen werden, damit interaktive Technologien tatsächlich nachhaltig im Alltag entlasten können und auch akzeptiert werden. Eine weitere zentrale Erkenntnis ist: Die Technik an sich ist nicht die Lösung, sondern nur ein Hebel für weiterreichende soziale und organisatorische Innovationen sowie für neuartige Dienstleistungen und Versorgungs- bzw. Geschäftsmodelle. Und diese Innovationen werden wiederum dann am erfolgreichsten sein, wenn sie die vorhandenen Sorgestrukturen wie ambulante Pflegedienste, Hausärzte, Sozialstationen, Pflegestützpunkte und Nachbarschaftshilfen einbeziehen.

Was dies genau für pflegende Angehörige bedeutet, fragten wir Teilnehmende des Workshops, die sich in ihrem beruflichen Alltag tagtäglich um pflegende Angehörige kümmern:

Antje Jones, Geschäftsführerin der Angehörigenberatung e.V.  Nürnberg, eine Fachstelle für pflegende Angehörige und Demenzberatung in Nürnberg

© Carolin Volk

„Aus unserer Sicht ist es wichtig, Betroffene und pflegende Angehörige schon frühzeitig in die Entwicklung technischer Pflegeinnovationen einzubeziehen. Sie sind die Experten im Alltag, kennen ihre häusliche Pflegesituation aus dem effeff. Sie liefern gerne Ideen und praktischen Input, wenn sie Impulse bekommen, was heute technisch alles möglich ist. Die frühe Begegnung von Forschenden und Praktikerinnen und Praktikern kann für beide Seiten unglaublich bereichernd sein.“

Gabriele Tammen-Parr von PFLEGE IN NOT in Berlin – Beratungs- und Beschwerdestelle bei Konflikt und Gewalt in der Pflege älterer Menschen

© privat

„Pflegende Angehörige sind die tragende Säule in der häuslichen Pflege. Die Versorgung eines pflegebedürftigen Angehörigen zu Hause erfordert viel Zuwendung, Kraft und Geduld. In den Familien wird über viele Jahre Enormes geleistet, oft über die Grenzen der eigenen Belastbarkeit hinaus. Neue Technologien und Innovationen sollten unbedingt Unterstützung und Entlastung für Pflegende bedeuten! Sowohl das Bedürfnis nach Beratung und Information, aber auch Möglichkeiten zur Gesunderhaltung, Erholung und Entspannung sollten Berücksichtigung finden. Natürlich leicht verständlich und gut nutzbar.“

Brigitte Bührlen, Vorsitzende der WIR! Stiftung pflegender Angehöriger in München

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„Digitale, technische interaktive und unterstützende Lösungen für einen häuslichen Pflegebedarf sollten individualisierbar, intuitiv bedienbar und möglichst selbsterklärend sein. Pflegende Angehörige verschiedenen Alters sollten ab Planungsbeginn mit einbezogen werden. Professionelle Planungen entsprechen nicht immer dem realen Alltagsbedarf von pflegenden Angehörigen. Ihr Rat beeinflusst nicht selten maßgeblich die Entscheidung, ob ein Angebot akzeptiert, finanziert und genutzt wird oder nicht.“

Sebastian Fischer von wir pflegen e. V. , die Interessenvertretung und Selbsthilfeorganisation pflegender Angehöriger in Deutschland

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"Pflegende Angehörige erfahren bei wachsender Pflegeverantwortung zunehmend hohe soziale Isolation, deshalb darf technische Innovation nie das Ziel haben, menschlichen Kontakt zu ersetzen. Wenn es ihr jedoch gelingt mehr Zeit zu schaffen, Bürokratie zu vereinfachen, soziale Teilhabe zu stärken und den menschlichen Kontakt zu bereichern, werden Digitalisierung und Innovation von pflegenden Angehörigen gern angenommen werden.”

Frank Schumann von der Fachstelle für pflegende Angehörige in Berlin

© privat

„Pflegende Angehörige sind auf der Suche nach Information, Unterstützung und Austausch auf Augenhöhe. Dazu brauchen Sie ein ABS-System bestehend aus Anerkennung, Begleitung und Sicherheit. Digitale Lösungen können ein solches System sein, wenn Sie nicht solitär, sondern im ergänzenden Kontext zum persönlichen Kontakt gedacht und gemeinsam mit pflegenden Angehörigen konzipiert werden. So können sie nachhaltige Verbesserungen bringen.“

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