Beim zweiten Vernetzungs-Symposium im Rahmen der BMBF-Förderlinie „Robotische Systeme in der Pflege" kamen am 10. und 11. Februar 2022 über 300 internationale Teilnehmende aus Forschung, Wissenschaft und Pflegepraxis und diskutierten ihre Perspektiven zum Einsatz der Robotik in der Pflege.
Wie weit ist die Robotik-Forschung für die Pflege in Deutschland? Welche Aspekte gilt es zu beachten, wenn Robotik-Forschung in die Handlungsfelder der Pflege eingebracht werden soll? Und wie können Roboter den Menschen sinnvoll unterstützen?
Mit gängigen Vorstellungen von Robotern, die oftmals durch Film und Fernsehen geprägt sind, hat die aktuelle Robotikforschung für den sehr sensiblen Bereich der Pflege wenig zu tun. Es besteht Forschungsbedarf – nicht nur auf technologischer Ebene, sondern auch im Bereich von gesellschaftspolitischen, ethischen, sozialen und rechtlichen Aspekten. Denn insbesondere in der Pflege muss die Technologie im Rahmen des jeweiligen Settings genau auf die Bedarfe der Anwendenden ausgerichtet sein. Hieran forschen seit Ende 2019 insgesamt zehn Forschungsverbünde im Rahmen der Förderlinie „Robotische Systeme für die Pflege“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), die sich im Februar zum zweiten öffentlichen Vernetzungs-Symposium unter dem Themendach „Gestaltung robotischer Systeme für die Pflege im Kontext“ getroffen haben.
1. Worin sehen Sie die Hauptaufgaben von partizipativen Technologieentwicklungen?
Partizipative Verfahren dienen dazu, Lernräume zu schaffen. Hier sollen Forschende, aber auch andere Stakeholder wie etwa Organisationen und Vertreterinnen und Vertreter von Anwendergruppen miteinander ins Gespräch kommen. Ziel ist der Austausch zwischen Technikforschenden und zukünftigen Anwenderinnen und Anwendern, sowie den Expertinnen und Experten aus der Praxis. Durch diese Perspektiverweiterung können zukünftige Nutzungsmöglichkeiten gemeinsam entworfen werden.2. Wie kann ein erfolgreicher Technologietransfer ermöglicht werden?
In Siegen arbeiten wir mit sogenannten ‚Praxlabs‘. Dabei handelt es sich um einen Living Lab-Ansatz, der über längere Zeiträume alle Stakeholdergruppen miteinander vernetzt und in Austausch bringt. Über qualitative und beteiligungsorientierte Forschungsverfahren findet die Technikforschung und -gestaltung überwiegend an Orten der Praxis statt, in Privathaushalten und Einrichtungen der Gesundheitsversorgung. Mit dem langfristigen Aufbau von lokalen und regionalen (Co-) Forschungsbeziehungen erfolgt eine enge Einbettung der Technikforschung in reale Praxiskontexte.
Durch diese Einbettung erhalten wir eine bessere Vorstellung davon, wie nachhaltige Strukturen für den Technologietransfer aufgebaut werden müssen. Das schließt auch die nachhaltige Verankerung der begleitenden Aspekte wie Lernanforderungen, Digital Skills und Supportnotwendigkeiten mit ein.3. Was wäre Ihr Wunsch in Hinblick auf eine erfolgreiche nutzerzentrierte Technologieentwicklung? Wie sollte sich das Feld der Robotik in der Pflege hier weiterentwickeln?
[Prof. Dr. Claudia Müller]
Eine praxistaugliche und die Arbeits- und Pflegequalität fördernde Robotik kann meines Erachtens nur über einen engen Austausch zwischen Technik- und Pflegeforschung und Arbeits- und Ausbildungsorganisationen der Pflegepraxis gelingen. Als gemeinsamer dialogischer Lernprozess, der Raum hat zum Ausprobieren, aber auch zum Verwerfen von Ideen, die sich als nicht zielführend erweisen. Daher wünsche ich mir, dass Technikentwicklung noch mehr als „Shared Ownership“ in Form lernender Regionen auf den Schultern vieler relevanter und lokaler Stakeholder konzipiert wird. Auch würde ich mir wünschen, dass Hochschulen als Wissenstransfer-Einrichtungen eine stärkere Rolle in den Regionen einnehmen würden.
Die im Rahmen der Veranstaltung präsentierten Forschungsarbeiten beschäftigen sich mit ganz unterschiedlichen Anwendungsbereichen der gesundheitlichen Versorgung – sowohl in der häuslichen und stationären Alten- und Krankenpflege als auch im Krankenhaus. Ebenso unterschiedlich waren auch Gestaltung und Aussehen der vorgestellten Roboter-Systeme: Ein Beispiel ist eine interaktive Puppe, die Menschen mit Demenz im eigenen Zuhause Informationen zur Orientierung bietet und ihnen etwa das aktuelle Datum sagt und an Termine erinnert. Gleichzeitig kann sie den Menschen dazu motivieren, sich zu bewegen oder ein Lied zu singen. Ein weiteres Beispiel ist ein selbstfahrender Nachttisch, der auf Aufforderung Getränke ans Bett bringen kann. Zudem wurde ein intelligentes Pflegebett gezeigt, das Physiotherapeutinnen und -therapeuten und Intensivpflegefachpersonen in der Frühmobilisation von Intensivpatienten anleitet und dabei physisch entlastet.
Das besondere an der Förderlinie „Robotische Systeme für die Pflege“ ist, dass die Sichtweisen und Anforderungen von Pflegearbeit im Zentrum stehen und dass eben mit der Praxis für die Praxis entwickelt wird“, betonte Katrin Nostadt aus dem Referat „Interaktive Technologien für Gesundheit und Lebensqualität im Bundesministerium für Bildung und Forschung“ anlässlich des Vernetzungs-Symposiums. Interessante technische Ideen dürften nicht einfach einem Praxisfeld übergestülpt werden. Nur wenn das Leitbild guter pflegerischer Versorgung als Orientierungsmaßstab gelte, werde es gelingen, dass Robotertechnologie einen echten Beitrag leisten kann für die Lebens- und Versorgungsqualität der Betroffenen und für die Arbeitsqualität der Beschäftigten.
Die Projektvorträge wurden jeweils durch Keynotes von internationalen Wissenschaftlerinnen und Wissenshaftlern begleitet:
• Prof. Dr. Naonori Kodate, University College Dublin und Universität Hokkaido: „Robotische Systeme in Sorgenden Gemeinschaften“
• Dr. Astrid Weiss, TU Wien: Werte-Orientierung in der Robotik-Forschung
• Prof. Dr. Kirsten Thommes, Universität Paderborn:Co-Design und interdisziplinäre Arbeit