„Integriert forschen: Perspektiven offener Wissenschaften in einer digitalisierten Demokratie“: so hieß das Thema der öffentlichen Auftaktveranstaltung des Teilclusters III im Cluster Integrierte Forschung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) am 4. März 2024.
Katrin Nostadt, stellvertretende Leiterin des Referats „Interaktive Technologien für Gesundheit und Lebensqualität; Medizintechnik“, eröffnete das Treffen mit rund 60 Teilnehmenden. Sie einnerte sich daran zurück, wie aufgrund der rasant wachsenden Digitalisierung schon vor Jahren der Wunsch entstanden war, die Integrierte Forschung im BMBF mit einer eigenständigen methodischen Säule auszustatten und die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zusammenzubringen. Ihre Überzeugung: Dass die Entwicklung und Implementierung digitaler Anwendungen ohne die Einbindung der Nutzerinnen und Nutzer nicht erfolgreich gelingen kann. Die erste Fachkonferenz „Integrierte Forschung“ im Jahr 2018 war der Anfang des späteren Clusters Integrierte Forschung. Die Corona-Pandemie habe gezeigt, dass die Menschen Anforderungen an die Wissenschaft stellen, die nicht unbedingt deckungsgleich mit den Prinzipien wissenschaftlicher Wissensproduktion sind. Um Vertrauensverlust entgegenzuwirken, fördert das BMBF seither Projekte, die untersuchen, wie dieses Vertrauen in die Wissenschaft zurückgewonnen werden und wie ein neues Selbstverständnis von Forschung in einer digitalisierten Demokratie aussehen kann.
Das Cluster Integrierte Forschung hat seit seiner Gründung Methoden der Integrierten Forschung aus verschiedenen Feldern zusammengeführt und neue partizipative Formate entwickelt. Dabei hat es stets den Einfluss neuer Technologien im Blick behalten – wie etwa aktuell die Künstliche Intelligenz. Die ersten beiden Teilcluster fokussierten die Themengebiete „Digitale Lebenswelten“ und „Kollaborative Interventionen“. Das neu gestartete dritte Teilcluster widmet sich den „Perspektiven offener Wissenschaften in einer digitalisierten Demokratie“. Denn die Beteiligung der Öffentlichkeit an der wissenschaftlichen Lösung gesellschaftlicher Probleme ist ein wichtiges Anliegen des BMBF.
Dr. Katharina Gerl von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf erläuterte als Koordinatorin des neuen Teilclusters „Perspektiven offener Wissenschaften in einer digitalisierten Demokratie“ die wichtigsten Begrifflichkeiten: Sie definierte Integrierte Forschung als Forschungsmodus, der sowohl offen und innovativ, kollaborativ und praxisnah sowie reflexiv und vernetzend sei. Sie richte nicht nur Forschungsprozesse ergebnisoffen an gesellschaftlichen Problemlagen aus und hebe Innovationspotenziale, sondern arbeite zudem inter- und transdisziplinär sowie integrativ.
Das Teilcluster III des Clusters Integrierte Forschung wird sich in den kommenden Jahren mit den Herausforderungen befassen, die die Wissensproduktion mithilfe digitaler Tools für Wissenschaft und Demokratie mit sich bringt: Der permanente Dialog mit der Öffentlichkeit ermöglicht einerseits eine Demokratisierung, fordert andererseits jedoch auch Gewohnheiten, Rollen und Praktiken heraus. Dadurch ergeben sich neue Gestaltungsfragen in Bezug auf Mensch-Technik-Interaktion: Dazu zählen Inklusion, Wissenschaftskommunikation, Wissenschaft und Demokratie sowie Co-Creation und offene Wissensproduktion. So leistet das Teilcluster III einen wichtigen Beitrag zum Cluster Integrierte Forschung: Es erweitert die bestehenden Zugänge, Perspektiven und Methoden und stellt entsprechende Orientierungshilfen bereit.
Im Rahmen der Auftaktveranstaltung stellten sich die fünf kürzlich gestarteten Projekte des Teilclusters III des Clusters Integrierte Forschung in Kurzvorträgen vor.
In ihrer Keynote referierte Dr. Anna Soßdorf vom FZI Forschungszentrum Information, Berlin, und SCI:MOVE – Science on the Move, über partizipative Forschung.
Partizipative Forschung definiert Dr. Soßdorf als „engagierte Forschung, die die Möglichkeiten der partnerschaftlichen Zusammenarbeit und empirischen Forschung nutzt, um die sozialen, politischen und organisationalen Kontexte, in die sie eingebettet ist, kritisch zu reflektieren“. Sie macht Wissenschaft relevant und ist nützlich, um dringende Probleme zu lösen.
Berührungspunkte zur Citizen Science sieht Dr. Soßdorf im Einbezug von Menschen, die nicht institutionell in die Wissenschaft eingebunden sind, in der Demokratisierung sowie im gemeinsamen Zusammentragen großer Datenmengen. Auch an der Forschung könnten Menschen auf verschiedenen Stufen partizipieren: Sie könnten (nur) teilnehmen, kollaborieren oder (sogar) mitgestalten.
Ziele der partizipativen Forschung
Partizipativ Forschende möchten Dr. Soßdorf zufolge die Problemlösung und Handlungsfähigkeit von Praxissystemen fördern sowie Wissen generieren. Sie zielen darauf ab, dass ihre Ergebnisse eine gesellschaftliche Wirksamkeit haben, sie die soziale Wirklichkeit verstehen und verändern und die Öffentlichkeit als Co-Forschende beteiligen. Dabei soll die individuelle und kollektive Selbstbefähigung und Ermächtigung der Beteiligten gefördert werden.
Vorteile der demokratisierten Wissenschaft
Die Demokratisierung der Wissenschaft habe zahlreiche Vorteile für die Wissenschaft selbst (Inspiration und Anwendbarkeit) und für Gesellschaft (sozial relevante wissenschaftliche Ergebnisse werden öffentlich), Policy (Verbesserung der Kommunikation zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit) und Beteiligte (Verständnis steigern, Literacy erreichen). Scientific Literacy bedeute, dass die eigenständige Produktion von Wissen das Verständnis erhöhe, wie Wissenschaft funktioniert. Dr. Soßdorf ist der Ansicht, dass das demokratische Element der Forschung Bedingung (viele unterschiedliche Meinungen) und Ergebnis (Democratic Literacy) zugleich sei.
Kritik an partizipativer Forschung
Kritikerinnen und Kritiker des partizipativen Forschungsansatzes befürchten nicht nur eine negative Beeinflussung der Erkenntnisqualität. Ihnen zufolge erschweren die unterschiedlichen Fähigkeiten und Kenntnisse der Beteiligten zudem die Zusammenarbeit, die Verantwortung der Bürgerinnen und Bürger bedeute einen Kontrollverlust für die Forschenden. Dr. Soßdorf hält dagegen, dass Objektivität, Reliabilität und Validität, die landläufig als Bedingungen für wissenschaftliche Qualität gelten, bei der partizipativen Forschung eine andere Bedeutung erhielten: Der Prozess müsse am Ziel orientiert und dynamisch sein. Zudem könne die Vielfalt der Daten und Erfahrungen nicht nur die Übereinstimmung der Erkenntnisse erhöhen. Usability-Testungen durch verschiedene Personen zeigten zudem Schwachstellen auf.
Die Entwicklung hin zur Demokratisierung verändere Dr. Soßdorf zufolge die Wissenschaft auf drei verschiedenen Ebenen: Sie verlaufe nicht mehr „top down“, sondern ermögliche mehr Miteinander, Dialog und Co-Produktion. Zudem diversifiziere und professionalisiere sie sich und bewirke auf lange Sicht eine Veränderung des Mindsets von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Voraussetzungen für partizipative Forschung seien eine Pluralität der Zugänge, damit die gesamte Vielfalt der Gesellschaft abgebildet werden könne, mehr Ressourcen und eine größere Anerkennung der partizipativen Wissenschaft.
Bertold Scharf vom Projekt INPART resümierte die Ergebnisse des Workshops „Inklusion“.
Die Teilnehmenden arbeiteten heraus, dass der Begriff Inklusion zahlreiche unterschiedliche Bedeutungen habe, darunter soziologische, politische, rechtliche und alltagsgebräuchliche. Da sich der Begriff nicht nur auf Menschen mit Beeinträchtigungen beziehe, profitierten alle Menschen von inklusiven Maßnahmen (Übertragbarkeit). Technikentwicklungsprojekte sollten betroffene Anwendergruppen über den gesamten Prozess mithilfe von zielgruppenspezifischen Tools einbinden. Die Berücksichtigung aller Menschen mit zahlreichen verschiedenen Beeinträchtigungen bedeute eine erhöhte Projektkomplexität.
Im Workshop „Offene Wissenschaft“ diskutierte Prof. Dr. Detlef Sack von der Bergischen Universität Wuppertal mit den Teilnehmenden das Verhältnis von Integrierter Forschung, Co-Creation und Citizen Science.
Sie arbeiteten folgende Ähnlichkeiten heraus: Alle Modelle berücksichtigten unterschiedliche Formen der Teilhabe und hätten eine große Schnittmenge der Beteiligungsformate. Als Herausforderungen hielten sie fest, dass Forschende noch nicht in partizipativen Methoden trainiert seien, dass die Beteiligten nicht die gesamte Bevölkerung repräsentierten und die Finanzierungsfrage oft noch ungeklärt sei.
Im von Lisa Koeritz vom Projekt ANKER moderierten Workshop „KI und Partizipation“ ging es um ethische Herausforderungen in der Forschung mit und zu Künstlicher Intelligenz.
Die Teilnehmenden waren sich einig, dass sich private und berufliche Werte oftmals unterscheiden, dass es unterschiedliche Perspektiven auf den Wertebegriff gebe und die Herausforderung des Umgangs mit ethischen Aspekten schon in der Begriffsbestimmung liege.