Damit Roboter in der Pflege tatsächlich unterstützen

Zum Auftakt der Forschungsprojekte der Förderbekanntmachung „Robotische Systeme in der Pflege“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) trafen sich am 23. April etwa 90 Akteure aus Forschung, Wirtschaft und Pflegepraxis um sich über Voraussetzungen, Meilensteine und Wegbereiter für Pflegeinnovationen in der Robotik auszutauschen. Das Auftakttreffen fand im virtuellen Raum statt.

© Adobe Stock/ M.Dörr & M.Frommherz

Aktueller konnten die Themen der insgesamt zehn geförderten Projekte und des Begleitprojekts der Förderbekanntmachung BeBeRobot, welches das Treffen inhaltlich vorbereitet hatte, nicht sein: Die hohe gesellschaftliche Relevanz einer guten Pflege wird in Pandemiezeiten besonders deutlich. Denn dann steigt nicht nur das Bewusstsein für digitale Lösungen als Alternative, sondern auch die Bedeutung robotischer Systeme in der Pflege.

„Der Diskurs ist wichtig!“

Katrin Nostadt vom Referat „Interaktive Technologien für Gesundheit und Lebensqualität“ im BMBF wies auf den zentralen Wert guter Pflege in der aktuellen Krisenzeit hin - und zwar für den einzelnen Menschen und die Gesellschaft als Ganzes. „Der Diskurs darüber, was gute Pflege eigentlich bedeutet – der im Rahmen der Förderbekanntmachung „Robotische Systemen in der Pflege“ aktuell geführt wird – ist heute, wenn wir Pflege mit Innovationen vereinen wollen, wichtiger denn je. Denn die Forschungshistorie zeigt, wie ambivalent die Rolle der Robotik  auch heute noch betrachtet und in der Praxis gelebt wird. „Die Sorge vor Substitution des Menschen in der Pflege ist weiterhin sehr groß“, so Katrin Nostadt. „In Zeiten von Corona werden digitale Technologien und Assistenzsysteme aus einem ganz neuen Blickwinkel betrachtet. Unter den besonderen Hygieneanforderungen geht es nun auch vermehrt um die Chancen autonomen Agierens und die Reduzierung des Körperkontakts in der Pflege“.

Forschungsgegenstand: Beitrag zu einer qualitätsvollen Pflege leisten

Die insgesamt zehn Forschungsprojekte der Bekanntmachung haben sich die Aufgabe gesetzt, den vielfältigen Anforderungen aus der Pflege gerecht zu werden. Ziel ist es, durch innovative interaktive Technologien und Lösungen der Mensch-Technik-Interaktion die Selbstständigkeit und das Wohlbefinden von Pflegebedürftigen zu stärken, Pflege- und Betreuungskräfte sowie Angehörige physisch und psychisch zu entlasten und damit einen Beitrag zu einer qualitätsvollen Pflege zu leisten. Durch das Wiedererlangen der Autonomie von Betroffenen und körperliche und zeitliche Entlastungen während der Pflege bleibt mehr Zeit für menschliche Zuwendung – unabhängig von Pandemien.

Zum Auftakttreffen präsentierten die insgesamt zehn Projekte in Kurzvorträgen ihre jeweilige Forschungsidee, ihre Motivation für diesen Teil der Forschung, ihre Forschungsansätze, ihre Ziele und die Herausforderungen, denen sie sich stellen.

Detaillierte Informationen zu den Projekten finden Sie hier:

  • AdaMekoR - Ein adaptives Mehrkomponenten-Robotersystem für die Pflege
  • ArNe - Assistenzrobotik für den pflegerischen Einsatz bei Menschen mit neuromuskulären Erkrankungen
  • BeBeRobot - Begründungs- und Bewertungsmaßstäbe von Robotik für die Pflege
  • HoLLiECares - Multifunktionaler Serviceroboter zur Unterstützung professioneller Pflege in Krankenhäusern
  • MobiStaR - Mobilisation Intensiv-Pflegebedürftiger durch einen neuen Standard in der adaptiven Robotik
  • MORPHIA - Mobiler robotischer Pflegeassistent verbessert Teilhabe, Versorgung und Sicherheit in der häuslichen Pflege
  • PeTRA - Ein Roboter-Assistent für den Personentransfer in der Pflege
  • PfleKoRo - Pflege erleichtern durch kooperierende Robotik
  • REsPonSe - Serviceroboter zur Entlastung und Unterstützung von Pflegenden
  • RoMi - Roboterunterstützung bei Routineaufgaben zur Stärkung des Miteinanders in Pflege-einrichtungen
  • RUBYDemenz - Unterstützung der häuslichen Pflege von Menschen mit Demenz durch eine personalisierte Mensch-Roboter-Interaktion

Im Anschluss präsentierten die Forschenden des Begleitprojekts BeBeRobot die Ergebnisse einer Analyse der Projektbeschreibungen zu den Merkmalen der Verbundprojekte und deren Einordnung im Feld Robotik und der Pflege. Demnach verortet sich die Mehrzahl der Projekte im Bereich Service-Robotik, weitere Projekte im Bereich Sozio-assistive Robotik und Rehabilitations-Robotik werden in der Häuslichkeit und Akutstationären Pflege sowie der Langzeit und Rehabilitationspflege umgesetzt. Als zentraler Untersuchungsgegenstand kristallisierte sich die Integration der robotischen Systeme in die Prozessketten der Pflege heraus.

Neuer Meeting-Point: Treffen im virtuellen Raum

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer trafen sich auf der BMBF-Veranstaltungen „Interaktive Technologien für Gesundheit und Lebensqualität“ erstmalig im virtuellen Raum. Die Veranstaltung fußte auf zwei Programmsäulen. Neben der klassischen Plenarsitzung mit zentraler Moderation und festen Referenten trafen sich die Teilnehmenden im zweiten Veranstaltungsteil in themenspezifischen Workshops:

Workshop1: Robotische Systeme für die Pflege: Welche Werte leiten uns?
Workshop 2: Robotische Systeme für die Pflege: Welche Methoden leiten uns?
Workshop 3: Robotische Systeme für die Pflege: Welche pragmatischen Herausforderungen erwarten uns?

Zwei verschiedene Tools für Videokonferenz und Online-Events kamen für eine bestmögliche Orchestrierung der Auftaktveranstaltung zum Einsatz: In den Workshops stand Teamarbeit und Austausch im Fokus. Hier konnten die Teilnehmenden z. B. Diskussionspunkte und Kommentare über Grafiken wie Tabellen oder Wortwolken im virtuellen Raum miteinander teilen, protokollieren und anschließend im Gesamtplenum den übrigen Teilnehmenden vorstellen und diskutieren.

Zitat eines Teilnehmers:
 „(…) ich möchte Ihnen und Ihrem Team nochmals ganz herzlich danken (…). Technik, Dramaturgie und Durchführung waren so gut vorbereitet, dass alle spürbar Lust hatten, sich gemeinschaftlich einzubringen und ein Netz zu bilden. Für mich eine sehr schöne Erfahrung.“

Abschließend wurde in der Feedbackrunde um Rückmeldung zur virtuellen Veranstaltung gebeten:

    • 93 % hat die Veranstaltung (sehr) gut gefallen
    • 60 % fanden die Dauer der Veranstaltung angemessen (Rest sagte „zu lang“ oder „zu kurz“)
    • 82 % empfanden den Wechsel zwischen den Software-Anwendungen als reibungslos.
    • Wichtig für den Erfolg von Online-Events ist die Abwechslung in der Choreographie, die kon-sequente Dramaturgie sowie Zeiten für Rückfragen – über Chat oder das Mikrophon - und Pausen.
    • Workshop 1: Robotische Systeme für die Pflege: Welche Werte leiten uns?

      Der Workshop zielte darauf ab, übergreifende Werte und Paradigmen für die Entwicklung und Implementierung von Robotik in der Pflege zur Diskussion zu stellen. Auch ging es darum, den breiteren Kontext der Weiterentwicklung der Versorgung in den verschiedenen Handlungsfeldern der Pflege zu thematisieren. Ausgangspunkt war eine Übersicht zu den Vorstellungen der Verbundprojekte zu „guter Pflege“, gelungenen Arbeitsprozessen in der Pflege und konkreten Möglichkeiten und Grenzen von Robotik in diesen Kontexten. Vor diesem Hintergrund wurden Ideen entwickelt, wie robotische Technologien die komplexen Pflegearrangements systematisch erweitern und weiterentwickeln können und was dies für die konkreten Verbundprojekte bedeutet.

      Zudem wurden zahlreiche Schnittmengen für gemeinsame empirische Fragestellungen für die Erfahrung von Robotik in der Pflege formuliert sowie besondere Projektrisiken wie die Akzeptanz von Robotik in der Pflege und die Kompatibilität der Technik mit anderen Systemen benannt. Für den Austausch mit der Zivilgesellschaft und der Kommunikation der Projektergebnisse wurden unterschiedliche Ansätze identifiziert. Wichtig war den Diskutanten die Berichterstattung in lokalen Medien.

      Workshop 2: Robotische Systeme für die Pflege: Welche Methoden leiten uns?

      Der Workshop griff Ergebnisse aus dem Vorabtreffen der Förderlinie im November 2019 auf und adressierte methodische Herausforderungen im Umfeld der Entwicklung, Erprobung, Evaluation und Implementierung/Dissemination von robotischen Systemen für die Pflege. Eine (aus den Vorhabenbeschreibungen der Verbundprojekte abgeleitete) Übersicht zu methodischen Ansätzen der Technologie-entwicklung, der Nutzereinbindung, der Umsetzung von ELSI-Aspekten oder der Evaluation des Einsatzes von robotischen Systemen in der Pflege lieferte einen Einblick in projektübergreifende und ggf. auch projektspezifische Herausforderungen und mögliche Lösungswege. Die Projektverbünde erhielten insbesondere Gelegenheit, Fragestellungen zu erarbeiten, deren Beantwortung durch die übergreifende Zusammenarbeit im Kontext der Förderlinie für alle Beteiligten gleichermaßen relevant ist. Weiterverfolgt wird der Austausch künftig im Rahmen einer (online-basierten) Forschungspraxis-Werkstatt mit dem Titel „Von der Empirie zum Design und zurück“. Darin können künftig relevante methodische Fragen für geplante Vorstudien, Co-Design-Phasen und vor allem auch für die Implementierungs- und Anwendungserprobung diskutiert und reflektiert werden. Austauschbedarf sahen die Teilnehmenden hier besonders für die Stellung von Ethikanträgen, Sicherheit- und Versicherungsfragen sowie einer gesundheitsökonomischen Evaluation. Auch das Interesse der Verbundprojekte, gemeinsam übergreifenden empirischen Fragestellungen zu erheben, wird in diesem Rahmen weiterverfolgt.

      Workshop 3: Robotische Systeme für die Pflege: Welche pragmatischen Herausforderungen erwarten uns?

      Der Workshop knüpfte an Ergebnisse aus dem Vorabtreffen der Förderlinie im November 2019 sowie an eine (aus den Vorhabenbeschreibungen der Verbundprojekte abgeleiteten) Übersicht zu den Lösungsvorschlägen für die pragmatischen Herausforderungen des Robotikeinsatzes in der Pflege an. Zur Diskussion standen damit z. B. Aspekte der Rekrutierung von Probanden. Gerade die Einbindung vulnerabler Gruppen in den Prozess der Forschung sowie die Einholung von Ethikvoten stellt für viele Projekte eine Herausforderung dar, bei deren Bewältigung die Erfahrungen anderer wertvoll sein können. Ebenso wurde über die Entwicklung von Geschäftsmodellen und die Rechtssicherheit der robotischen Systeme im Zusammenhang mit dem Medizinproduktegesetz (MPG) und Wirksamkeitsnachweisen debattiert.

      Das nächste Austauschtreffen der Verbundprojekte ist für Dezember dieses Jahres geplant. Interessierte können außerdem Beiträge auf der 3. Clusterkonferenz Zukunft der Pflege hören.

 

© Prof. Dr. phil. Manfred Hülsken-Giesler

Prof. Dr. phil. Manfred Hülsken-Giesler, Pflegewissenschaftler und Berufspädagoge am Lehrstuhl für Pflegewissenschaft Universität Osnabrück und Projektkoordinator im wissenschaftlichen Begleitprojekt „Begründungs- und Bewertungsmaßstäbe von Robotik für die Pflege“ (BeBeRobot)

„Mit dem wissenschaftlichen Begleitprojekt „Begründungs- und Bewertungsmaßstäbe von Robotik für die Pflege“ – kurz BeBeRobot ist – international erstmalig – eine fachlich und fachwissenschaftlich begründete Einschätzung von Technologien unter besonderer Berücksichtigung der Spezifika der informellen und professionellen Pflegearbeit mit beeinträchtigten und vulnerablen Menschen möglich. Dazu werden Akteursgruppen aus der Versorgungspraxis, der Pflegesystemgestaltung sowie aus Wissenschaft und Technikentwicklung kontinuierlich einbezogen. Der Diskurs um die Bewertung von Robotik für die Pflege wird aber auch für eine breite bürgerschaftliche Beteiligung geöffnet. Dies muss als Voraussetzung für einen gesellschaftlich legitimierten Einsatz von Robotik in der Pflege gelten.“ Prof. Dr. phil. Manfred Hülsken-Giesler

 

© Dr. Uli Fischer /LMU Klinikum, München

Dr. Uli Fischer, Leitung Stabsstelle Qualitätsmanagement im Pflegedienst LMU Klinikum, München, Projektkoordinator im Projekt MobiStaR und ResPonSe.

„Mit unserer Forschung bringen wir bereits vorhandene robotische und digitale Systeme aus der Entwicklung in die praktische Anwendung, also zur Patientin und zum Patienten. Hierfür untersuchen wir die Möglichkeiten der Mobilitätsrobotik und Servicerobotik und ihre Einsatzfelder im Pflegedienst einer Universitätsklinik – also direkt in der Praxis. Die derzeitige Entwicklung im Gesundheitswesen hat aufgezeigt, wie wichtig eine professionelle pflegerische Versorgung, mit Bezug zum aktuellen Stand der Technik, im Gesamtzusammenhang des Behandlungsprozesses ist. Es bedarf einer vermehrten Aufklärung in der Gesellschaft, aber auch in den Gesundheitsberufen darüber, was Robotik und digitale Technik leisten kann und was nicht. Dies ist wichtig, um Vorbehalte und Barrieren für den Einsatz dieser Systeme abzubauen, auf mögliche Gefahren in der Entwicklung hinzuweisen und den Systemen den Platz zuzuweisen, den sie derzeit und in Zukunft haben sollten: EIN wichtiger Baustein unter vielen, zur optimalen Versorgung von Patientinnen und Patienten mit bestmöglichen Gesundheitsdienstleitungen.“Dr. Uli Fischer

 

© Professor Dr. Frank Weidner / DIP

Professor Dr. Frank Weidner, Direktor des Deutschen Instituts für angewandte Pflegeforschung e.V. (DIP), Lehrstuhlinhaber Pflegewissenschaft an der PTHV, Projektkoordinator im Projekt HoLLiECares

„Nicht erst mit der Corona-Pandemie kommen Herausforderungen auf die Pflege zu, die zukünftig auch mittels neuer Technologien wie der Robotik beantwortet werden können. Im neuen Forschungsverbund entwickeln wir einen alltagstauglichen Serviceroboter für die Pflege von Morgen. Grundlage ist die bestehende Roboterplattform HoLLiE. Dadurch, dass wir HoLLiE für Aufgaben der Pflegeassistenz, Transport und Logistik sowie Information und Dokumentation fit machen werden, können wir Wirksamkeit und Akzeptanz in Praxis und Gesellschaft erreichen. Dazu setzen wir im interdisziplinären HoLLiE-Verbund ganz auf unsere sozio-technischen Kompetenzen und versuchen damit dem Menschen die passende Technik zu bringen.“Professor Dr. Frank Weidner

 

© Lukas Lehmann / Johanniter

Cletus Brauer, Fachbereichsleiter Forschung und Entwicklung, Johanniter-Unfall-Hilfe e.V., Landesverband Niedersachsen/Bremen

„Die Pflege hilfsbedürftiger Personen ist zutiefst menschliche, sorgende Interaktionsarbeit. Gleichzeitig wird die Salutogenese von (zu) Pflegenden durch demografischen Wandel und Pflegenotstand, belastende Arbeitsbedingungen, Zeit- und Kostendruck gefährdet und gebietet so die Einbindung probater technischer Hilfsmittel. Pflege ist heute ein komplexes soziotechnisches System, in dem Robotik zunehmend zu einer wichtigen Komponente werden wird. Technik kann und soll in der Interaktionsarbeit den Menschen zwar niemals ersetzen, aber – werte- und nutzerzentrierte Entwicklung und Implementierung vorausgesetzt – sehr wohl unterstützen und so Gesundheit, Autonomie und Lebensqualität fördern.“Cletus Brauer