In Berlin trafen sich am 12. Dezember die Forschenden der neun Projekte im BMBF-Förderschwerpunkt „Innovationen für die Intensiv- und Palliativpflege“ zu ihrem gemeinsamen Abschlusstreffen. Die Teilnehmenden reflektierten das methodische Vorgehen in den Forschungsprojekten und diskutierten darüber, was noch zu tun ist, damit technische Innovationen in die Praxis kommen.
Der Förderschwerpunkt „Innovationen für die Intensiv- und Palliativpflege“ widmet sich der Sicherstellung von Pflegeleistungen für Menschen in sehr komplexen Situationen– etwa nach einer Narkose oder bei Bewegungslosigkeit – und ist damit von großer gesellschaftlicher Relevanz: Täglich sind mehrere Millionen Menschen in Deutschland auf Pflege angewiesen und die Zahl der Pflegebedürftigen wird weiter steigen. Damit kommen neue Herausforderungen auf die Pflege zu, auf die sich die Akteure und Entscheider im Gesundheitswesen, aber auch wir alle als Bürgerinnen und Bürger vorbereiten müssen. Dabei können technische Innovationen Pflegekräfte und pflegende Angehörige bei ihren Tätigkeiten entlasten und die Lebensqualität von pflegebedürftigen Menschen verbessern.
Auf dem Gebiet der Akut-, Intensiv- und Palliativpflege sind technische Systeme kein Neuland. Insbesondere die Akut- und Intensivpflege war schon immer in hohem Maße von Innovationen und High-Tech-Entwicklungen geprägt während die Pflege am Lebensende überwiegend durch menschliche Zuwendung geprägt ist . Die Komplexität in diesen Feldern stellt für Forscherinnen und Forscher wie auch für die Anwendenden in der Praxis eine große Herausforderung dar. Details hierzu finden Sie in den Interviews mit einigen Experten aus der Forschungscommunity.
In ihrer Keynote widmete sich Frau Prof. Dr. Katrin Balzer vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein der Frage, wie es technologische Ideen in die Implementierung schaffen. Sie referierte über Herausforderungen in der Entwicklung, Evaluation und Einführung digitaler Technologien in die Pflege und wertete dafür zahlreiche nationale und internationale Studien insbesondere in Bezug auf das jeweils gewählte methodisches Vorgehen aus. Sie verwies auf Limitierungen bei der Umsetzung und Berichterstattung systematischer Entwicklungs- und Evaluationsprozesse und betonte die Notwendigkeit „Use-centred“-Design-Ansätze konsequent umzusetzen, insbesondere für vulnerable Zielgruppen. Außerdem unterstrich die Pflegewissenschaftlerin den es deutlichen Forschungsbedarf zu geeigneten Methoden, die bei der Entwicklung von technisch gestützten Interventionen im Pflegebereich angewendet werden können.
Auch in den begleitenden Workshops wurde das methodische Vorgehen in diesem Forschungsfeld unter die Lupe genommen. Die Teilnehmenden betrachteten im Detail, welche methodischen Ansätze sich im Forschungszeitraum bewährt haben und welche nicht die erhofften Ergebnisse gebracht hatten.
Dazu diskutierten Prof. Dr. Katrin Balzer vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Prof. Dr. Christian Jäger, Universität Erlangen, Prof. Marc Kraft von der Technischen Universität Berlin und Christine Scheve vom Evangelischen Krankenhaus Oldenburg und Prof. Dr. Jürgen Zerth, Wilhelm Löhe Hochschule Fürth in der abschließenden Podiumsdiskussion aus verschiedenen Forschungsperspektiven. Alle Teilnehmenden betonten, dass der interdisziplinäre Blick auf die Thematik und ein Verständnis für die teilweise sehr gegensätzlichen methodischen Herangehensweisen der unterschiedlichen Fachdisziplinen ein wichtiger Erfolgsfaktor für die Entwicklung von Pflegetechnologien seien. Eine weitere zentrale Frage, die sich die Teilnehmenden stellten, war die nach dem Status Quo: Welche Erkenntnisse liegen mittlerweile zur Anwendung von Pflegetechnologien vor? Und wie können diese als Erfolgsfaktoren beim Technologietransfer in die Pflegepraxis gewinnbringend eingesetzt werden?
Im Sinne von Max Planck muss dem Anwenden von Pflegeinnovationen das Erkennen vorausgehen. Dies bedeutet aus Sicht der
Pflegepraxis: „… dass wir gemäß dem nachfolgenden Zitat die Befähigung erlangen müssen, die Bedarfe und Bedürfnisse von vulnerablen Menschen zu erkennen, um mit Kreativität und Phantasie das Potenzial der uns gegebenen technischen und mitmenschlichen Ressourcen nutzen und weiterentwickeln zu können: „Wenn wir jemandem helfen wollen, müssen wir zunächst herausfinden, wo er steht. Das ist das Geheimnis der Fürsorge. Wenn wir das nicht tun können, ist es eine Illusion zu denken, wir könnten anderen Menschen helfen. Jemanden zu helfen impliziert, dass wir mehr verstehen als er, aber wir müssen zunächst verstehen, was er versteht.“ Søren Kierkegaard (1813-1855)
Christine Scheve, Evangelisches Krankenhaus Oldenburg
Ingenieurswissenschaften: „…dass die besonderen Rahmenbedingungen der Pflege bei der Entwicklung unterstützender Technologien zu beachten sind. Hier hilft insbesondere der nutzerzentrierte Ansatz der Systementwicklung mit iterativen Rückkopplungen und bedarfsgerechten Anpassungen von Funktionseigenschaften. Die knappste Ressource der Pflegenden ist ihre Zeit, daher sollten technische Systeme vor allem Pflegende entlasten und Freiräume für die unmittelbare Patientenbetreuung schaffen.“
Prof. Dr.-Ing. Marc Kraft, Technische Universität Berlin
Rechtwissenschaften: „…Praxistransfer möglich machen setzt aus juristischer Perspektive die Erweiterung der integrierten Forschung um legale Dimensionen voraus. Methodisch kann dies gerade bei der Beurteilung rechtlich sensibler Mensch-Technik-Interaktionen nur durch eine unvoreingenommene Evaluierung von Rechtsprechung und Literatur gewährleistet werden. Die Veranstaltung hat in besonderer Weise verdeutlicht, dass die juristische Forschungsperspektive ihrerseits um eine ganzheitliche Erfassung der Probleme bemüht sein muss, bei der gerade im Bereich des Gesundheitswesens der Mensch im Mittelpunkt der Betrachtung stehen muss.“
Prof. Dr. Christian Jäger, Universität ErlangenGesundheitsökonomie: „…sich bewusst zu machen, dass Technologien mit dem Blick auf den Pflegeprozess und –outcome zu bewerten sind. Gesundheitsökonomie gewinnt durch die Integration mit pflegewissenschaftlichen und pflegepraktischen Perspektiven sowie der Verknüpfung mit ELSI-Herangehensweisen. Ansätze kontrollierter Experimente sind daher stärker zu befördern, um in realeren Pflegeumgebungen Erfolgsbedingungen für erfolgreiche Implementierungen zu ermitteln. Hier hat die Veranstaltung ein Zeichen setzen können.“
Prof. Dr. Jürgen Zerth, Wilhelm Löhe Hochschule Fürth