Interview mit Susanne Wallrafen: Krise als Chance

Susanne Wallrafen leitet die Abteilung Projekte bei der SOZIAL-HOLDING der Stadt Mönchengladbach GmbH. Die SOZIAL-HOLDING ist Anwendungspartner beim BMBF-Projekt UrbanLife+, dessen Ziel es ist, die Selbstbestimmung und Teilhabe von Seniorinnen und Senioren im öffentlichen Raum zu verbessern. Susanne Wallrafen erzählt im Interview, wie im Projekt mit der Krise umgegangen wird.

Susanne Wallrafen leitet die Abteilung Projekte bei der SOZIAL-HOLDING der Stadt Mönchengladbach GmbH.© Sozial-Holding

Das Interview wurde im April 2020 geführt.

Wie sind sie auf die Idee gekommen, ihre Projektarbeit im Zuge der Corona-Krise neu auszurichten?

Wir haben als kommunaler Altenhilfeträger mit insgesamt sieben Altenheimen natürlich überlegt, wie wir in der Corona-Zeit irgendwie aktiv werden können. Wir können nicht mehr raus ins Quartier und nicht mit Probanden arbeiten. Beim Besuchsstopp ist uns dann die Idee gekommen, die Tablets nicht mehr zum Testen smarter urbaner Anwendungen im Quartier zu nutzen, sondern sie in die Altenheime zu bringen und dort zu nutzen.

Wie werden die Tablets in den Altenheimen genutzt?

Mit den Tablets können die Bewohnerinnen und Bewohner des Altenheims mit ihren Angehörigen skypen. Das Besuchsverbot gilt seit fünf Wochen, dass heißt die Angehörigen können nicht kommen, und auch die Bewohnerinnen und Bewohner sollen, abgesehen vom Garten, das Altenheim nicht verlassen bzw. müssen sich an gesetzlich geregelte Vorgaben halten. Bei UrbanLife+ haben wir Erfahrungen darin gesammelt, worauf es bei der Anwendung von Technologie im hohen Alter ankommt. Diese Erkenntnisse, was Gestaltung und Bedienbarkeit von Technik angeht, haben uns geholfen herauszufinden, was möglich ist und uns gezeigt, dass die Krise auch eine Chance ist: Nach nur vier Wochen gibt es 150 Bewohnerinnen und Bewohner in unseren Einrichtungen, die regelmäßig mit ihren Angehörigen skypen.

Wie haben Sie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter darauf vorbereitet?

Durch das Projekt UrbanLife+ haben wir noch vor den Kontaktsperren unser Personal geschult und Skype auf den Tablets eingerichtet. Jetzt stellen die Mitarbeitenden jeden Tag Angebote zum Skypen zur Verfügung und organisieren den gesamten Ablauf.

Welche Hilfe benötigen die Bewohnerinnen und Bewohner beim Umgang mit der Technik?

Technischer Support von Seiten unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist immer nötig. Es sind sehr alte Menschen, teilweise bettlägerig, die mit solcher Technik noch nie in Berührung waren. Welche Hilfe gebraucht wird, ist dabei sehr individuell. Es beginnt beim Nummer wählen und geht hin bis zum Festhalten des Tablets. Es ist eine zentrale Erkenntnis, die wir in UrbanLife+ gewonnen haben, dass bei dieser Zielgruppe eine Unterstützung im gesamten Prozess unumgänglich ist.

Wie ist die Motivation von Seiten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter?

Je sicherer die Mitarbeitenden im Umgang mit der Technik werden, desto mehr Ambitionen haben sie Bewohnerinnen und Bewohner immer aufs Neue zu motivieren, es zu versuchen. Und je mehr Menschen teilnehmen, desto mehr steigt bei den Bewohnerinnen und Bewohnern auch das Gefühl ‚Was der kann, das kann ich auch‘. Wir haben nicht für jeden Bewohner und jede Bewohnerin ein eigenes Tablet und können die Zugänge dadurch nicht personalisieren. Auch um datenschutzrechtlich konform zu sein mussten wir uns ein System überlegen, dass korrekt ist und die Mitarbeitenden nicht belastet. Es kann nicht ständig im Dienst das Tablet klingeln, weil ein/e Angehörige/r gerade skypen will. Deshalb haben wir uns für eine einseitige Regelung entschieden: Die Bewohnerinnen und Bewohner haben die Möglichkeit, ihre Angehörigen anzurufen, aber nicht umgekehrt.

Glauben Sie, dass nach der Krise etwas von den jetzigen Aktivitäten nachwirkt?

Auf jeden Fall! Davon bin ich absolut überzeugt. Die Erfahrung, dass es die Möglichkeit gibt, so einfach bildlich in Kontakt zu treten, hat viele Bewohnerinnen und Bewohner begeistert. Der Kontakt macht Spaß und die Menschen finden immer mehr Gefallen daran, je häufiger sie die Technik anwenden. Bei dem guten Wetter der letzten Zeit haben viele Bewohnerinnen und Bewohner die Tablets mit nach draußen genommen. Es ist eine nachhaltige Erfahrung und die Bereitschaft, sich auf Digitalisierung einzulassen, hat sich durch die Krise in unseren Häusern viel schneller umsetzen lassen, als es sonst möglich gewesen wäre. Davon wird etwas bleiben. Viele Angehörige können nicht regelmäßig kommen, weil sie weit weg wohnen. Vor allem wenn wir nicht nur von Kindern, sondern auch von Enkeln oder Urenkeln sprechen, leben viele nicht in der gleichen Stadt. Trotzdem einen regelmäßigen Kontakt zu haben und sich zumindest bildlich nahe zu sein ist sehr viel wert.

Wie wünschen Sie sich, dass es weitergeht?

Ich wünsche mir den jetzigen regen Kontakt zwischen Bewohnerinnen und Bewohnern und deren Angehörige beizubehalten. Es ist mir wichtig, unsere Erkenntnisse systematisch im sozialen Dienst zur Aktivierung zu nutzen. Digitalisierung bietet unglaublich viele Möglichkeiten und es ist ein tolles Gefühl, wenn man die Basis unterstützen kann.

 

Weitere Informationen:

Webauftritt UrbanLife+

Projektsteckbrief UrbanLife+

Videobeitrag auf ARTE zu UrbanLife+

Bekanntmachung Innovationen für Kommunen und Regionen im demografischen Wandel (InnovaKomm)