Künstliche Beatmung ist ein Gebiet, in dem es nicht das eine zielführende Vorgehen gibt. Medizinerinnen und Mediziner müssen die passende Behandlung in jedem Einzelfall abwägen und sich dabei auf ihre Erfahrung verlassen. Das Projekt BEATE arbeitet an einem interaktiven Assistenzsystem, das solche Einzelfallentscheidungen künftig durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz unterstützen kann.
1. Worum geht es im Projekt BEATE?
Ärztinnen und Ärzte auf Intensivstationen müssen oftmals in kürzester Zeit sehr viele Informationen aufnehmen, um auf deren Basis Entscheidungen zu treffen. Zeiteffizienz und zielgenaues Handeln sind im medizinischen Umfeld enorm wichtig, sonst kann man schnell den Überblick verlieren. Im Projekt BEATE entwickeln wir daher eine schnell und intuitiv nutzbare Oberfläche, die auf informative Weise die wichtigsten Aspekte aus Bildgebung, Patienten-Monitoring, Labordaten sowie einer von uns entwickelten KI- und Simulationsauswertung darstellt. Ziel ist es, den für Nutzerinnen und Nutzer sicht- und bedienbaren Teil einer interaktiven medizinischen Software zu entwickeln, der medizinischem Fachpersonal auch bei komplexer, patientenspezifischer Informationslage eine solide Entscheidungsgrundlage für die weitere Behandlung an die Hand gibt.
2. Das Projekt BEATE ist erst vor Kurzem angelaufen. Welche Einzelschritte bzw. Meilensteine können Sie in Bezug auf den geplanten Projektverlauf bereits jetzt benennen?
Das Projekt BEATE gliedert sich in zwei Blöcke: Der Erste dient dem Aufbau des Backends, also der Grundlage für die spätere Datenverarbeitung zwischen Klinik, Computing und unserem Unternehmen. Erst im zweiten Block wird dann das eigentliche Interface gestaltet, mit dem das medizinische Personal später interaktiv arbeiten wird.
Wichtige Meilensteine des Projektverlaufs sind daher zum einen die datensichere und zuverlässige Kommunikation von BEATE mit klinischen Datenquellen, und zum anderen ein mit klinischen Partnern entwickelter Demonstrator, der das aktive Testen und Erproben der Lösung und die Umsetzung von entsprechendem Feedback ermöglicht.
3. Was ist ARDS?
ARDS ist die Abkürzung für Acute Respiratory Distress Syndrome. Dahinter verbirgt sich ein akutes Lungenversagen und somit eine schwerwiegende gesundheitliche Komplikation. ARDS tritt in Verbindung mit einer Primärerkrankung auf – oftmals einer Lungenentzündung oder einer Sepsis. Es kann aber auch durch inadäquate künstliche Beatmung verursacht werden. Charakteristisch für ARDS ist eine akute Schädigung der Lunge, bei der Entzündungen und Wassereinlagerungen entstehen, die im weiteren Krankheitsverlauf zu einer schweren Gasaustauschstörung führen können. Dann gelangt zum einen nicht mehr genug Sauerstoff ins Blut und zum anderen wird Kohlenstoffdioxid nicht mehr ausreichend abtransportiert. Eine künstliche Beatmung ist daher zwingend notwendig.
4. Wie funktioniert die künstliche Beatmung bei Menschen, die an ARDS leiden?
Eines der Hauptprobleme bei der Beatmung von Menschen, die an ARDS leiden, ist die Inhomogenität der Lunge. Das bedeutet, dass die individuelle Schädigung von Lunge zu Lunge sehr unterschiedlich ausfällt. Die Behandlung wird zudem von einer Vielzahl weiterer Einflüsse geprägt. Dadurch gibt es keine einheitliche Beatmungsmethode, vielmehr müssen die genauen Beatmungseinstellungen patientenspezifisch und zeitaufwendig feinjustiert werden. Dieses Justieren bedarf großer Erfahrung und Expertenwissen, welches meist nur an Spezialkliniken – wie beispielsweise ARDS-Zentren – verfügbar ist. Hinzu kommt, dass selbst Fachleute manchmal nicht weiterwissen, weil nicht nachzuvollziehen ist, was die Beatmung im konkreten Fall in der Lunge bewirkt. Es ist sehr schwer zu beatmen, wenn man die Auswirkungen nicht direkt einschätzen kann.
5. Worin liegt die Innovation Ihres Forschungsansatzes?
Die Innovation liegt in der Kombination aus künstlicher Intelligenz (KI) und einer physikbasierten Simulation der Lunge. Die KI lernt aus vorhandenen Daten, die in der Vergangenheit erfasst wurden. Sie ist damit so etwas wie das kollektive Gedächtnis der Beatmungsexperten, nur eben idealerweise überall verfügbar. Es gibt jedoch Fälle, in denen Medizinerinnen und Mediziner Informationen aus der Lunge benötigen, die sie nicht erheben können, weil sie auf normalem Wege nicht messbar sind. Hier hilft die eingangs erwähnte Simulation der Lunge: Mit den verfügbaren Daten erstellen wir zunächst einen digitalen Zwilling der Lunge. Am digitalen Modell lassen sich dann Simulationen durchführen, die uns wichtige, aber bislang fehlende biomechanische Informationen liefern, mit denen wir ein noch präziseres Bild der Lunge zeichnen und Medizinerinnen und Medizinern zur Verfügung stellen können. Es gibt derzeit kein wirkliches Assistenzsystem für die künstliche Beatmung. Wie diese durchgeführt wird, liegt allein im Ermessen der Ärztinnen und Ärzte. Diese Aufgabe erfordert sowohl Fingerspitzengefühl als auch Kenntnisse der wissenschaftlichen Literatur. Das funktioniert hierzulande gut, wie man im aktuell an der Pandemie sehen kann. Aber wir glauben, dass wir mit personalisierten, klinischen Informationen und Auswertungen zu einer noch besseren Beatmung und Behandlung beitragen können.
6. Gibt es einen Unterschied zwischen einem „normalem“ ARDS-Leiden und einem ARDS-Leiden, das aus einer Covid-19-Infektion hervorgeht?
Ja, es gibt etliche Unterschiede, die derzeit in einschlägigen Fachartikeln beschrieben werden. Wie sich zeigt, weichen die Ausprägung der akuten Lungenschäden, aber auch die Nachgiebigkeit der Lunge bei COVID-19 zum Teil merklich von „herkömmlichem“ ARDS ab. Unsere klinischen Partner berichten von ungewöhnlich „nassen“ Lungen mit sehr starken Flüssigkeitseinlagerungen.
7. Wie beurteilen Sie die Relevanz der Forschung innerhalb des Projekts BEATE im Kontext von Covid-19?
Ich glaube, dass unsere Forschung das Potenzial hat, medizinisches Fachpersonal bei dem Transfer ihrer bisherigen Beobachtungen im Zusammenhang mit Covid-19 in behandlungsrelevante Erkenntnisse zu unterstützen. Besonders aussichtsreich ist hier die bildbasierte Analyse und Quantifizierung der Pathologie sowie die gezielte und algorithmengestützte Suche zur Identifikation von Wirkzusammenhängen. Wir stoßen auf großes Interesse seitens der Kliniken und versuchen, unser Möglichstes zu tun, um werthaltige Ergebnisse zu liefern. Perspektivisch wollen wir mithilfe von BEATE genau solche Informationen und daraus abgeleitete individuelle Behandlungsempfehlungen verständlich und rasch anwendbar am Patientenbett bereitstellen.
8. Hat die aktuelle Pandemie einen Einfluss auf Ihre potenziellen Forschungsergebnisse?
Die Pandemie hat insofern Einfluss auf unsere Ergebnisse, als dass sie für uns die Zusammenarbeit mit Kliniken ein Stück weit vereinfacht hat: Wir erhalten besseren Zugriff auf relevante Daten und das allgemeine Interesse an der Thematik hat mit Covid-19 verständlicherweise stark zugenommen. Wir erhoffen uns aus dieser ergiebigen Zusammenarbeit natürlich auch gute Ergebnisse. Eventuell fallen diese ja sogar umfangreicher aus, als vor Corona zu erwarten war. Unser Ziel wäre jedenfalls, mit unserer Forschung einen kleinen Beitrag leisten zu können, um die Krankheit besser verstehen und perspektivisch besser behandeln zu können.