Die Initiative „Telepflegezentrale“ hat im Zuge der Corona-Pandemie einen kostenfreien Zugang zur Telepflege gestartet. Regionale Pflegedienste und -einrichtungen können damit medizinische und fachpflegerische Konsultation in Anspruch nehmen und Ärztinnen und Ärzte werden bei ihren Videosprechstunden unterstützt. Prof. Dr. techn. Susanne Boll-Westermann erzählt im Interview von der Initiative.
Das Interview wurde im Juni 2020 geführt.
Gemeinsam mit den Pflegepionieren, den Johannitern und dem Klinikum Oldenburg hat das Institut für Informatik OFFIS der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg spontan die Initiative „Telepflegezentrale“ gestartet, um einen zunächst zweimonatigen, kostenfreien Zugang zur Telepflege zu ermöglichen. Regionale Pflegedienste und Pflegeeinrichtungen können damit verbindlich und verlässlich medizinische und fachpflegerische Konsultation in Anspruch nehmen. Zusätzlich werden ambulant tätige Ärztinnen und Ärzte kostenfrei dabei unterstützt, ihre Videosprechstunden auf- und auszubauen.
Telepflege kann verlässlich medizinische und fachpflegerische Konsultation vermitteln und das Wissen unkompliziert, sicher und schnell, z.B. auch im ländlichen Raum, ohne Ansteckungsrisiko zur Verfügung stellen. Die Bedeutung von Telepflege wird insbesondere in der aktuellen Corona-Situation deutlich, da ohne sie die Gefahr besteht, ältere, kranke und beeinträchtige Menschen medizinisch und pflegerisch nicht ausreichend versorgen zu können. Denn Arztbesuche sollen möglichst vermieden werden und Alten- sowie Pflegeheime sind nur für angestellte Pflegerinnen und Pfleger zuständig. Fachärztlicher Rat von außerhalb wird damit immer schwieriger einzuholen. Um die notwendige Versorgung von Patientinnen und Patienten wiederherzustellen, kann die Televisite einen wichtigen Dienst leisten. Einige, vielleicht auch viele, können sich so den Weg in die Praxis sparen. Pflegekräften bietet die Telepflegezentrale zudem einen Zugang zu Beratung, speziell in Bezug auf geeignete Hygienemaßnahmen oder auch Palliativversorgung. Über den Weg der Onlinekonsultation können chronisch erkrankte Menschen, ältere oder aber auch mit dem Virus infizierte Personen in ihrer Umgebung verbleiben und dort bis zur Genesung behandelt werden. Unsere Motivation kann man so zusammenfassen: die Versorgung der Menschen sicherzustellen und dabei gleichzeitig die Ansteckungsgefahr zu minimieren, um das Gesundheitssystem zu entlasten.
Wir bauen auf einem umfangreichen Erfahrungsschatz in der Televersorgung hier in Niedersachsen auf. Die Technik mit der wir arbeiten ist grundsätzlich einsatzfähig und erprobt. So kann sie jetzt durch gezielte Beratung in die Praxen und Pflegeheime gebracht werden. Durch die Vorarbeiten des vom Europäischen Sozialfonds geförderten Projekts Telepflege in der Weser-Ems Region der Pflegepioniere, war das bereits aufgebaute und projekterprobte Unterstützungsnetzwerk sofort handlungsfähig. Jetzt kann durch eine koordinierte und kompetente Aktion Televersorgung in kurzer Zeit verbreitet werden, dort wo sie am notwendigsten ist.
Die „Telepflegezentrale“ liefert aktuell kostenfrei Informationen zu Fachpflegethemen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Pflegediensten, Pflegeeinrichtungen oder Einrichtungen für Menschen mit Behinderung. Wichtig sind vor allem folgende Themen: Hygiene und Palliativversorgung, medizinische Konsultation, Unterstützung bei der Umsetzung von Telepflege, Informationen über Möglichkeiten von Förderungen oder Informationen zu Maßnahmen im Rahmen der Corona-Pandemie. Erreichbar ist die „Telepflegezentrale“ telefonisch, per Mail oder auch per WhatsApp.
Über die Telepflege können sich pflegende Angehörige ebenso wie beruflich Pflegende Unterstützung, Rat und Hilfe einholen, indem Fachexpertise über Videotelefonie hinzugeschaltet wird. Die jeweiligen Expertinnen und Experten des Netzwerkes wiederum können sich – in kurzer Zeit und an unterschiedlichen Orten – ein Bild von der Situation machen, beraten, anleiten, unterstützen, informieren und beistehen.
Aktuell wird insbesondere die Beratung zum Aufbau einer internen Telepflegestruktur angefragt. Diese können dann mit dem Baustein der Telepflegezentralen und ihren externen Experten ergänzt werden. Zum internen Aufbau zählen Szenarien wie die Onlinesprechstunde mit Angehörigen, die Online-Pflege- und Hygienevisiten, die interne Expertenanfrage zwischen zwei oder mehreren Niederlassungen, die telemedizinische Anbindung zu Hausärztinnen und Hausärzten oder auch die Inselanbindung an den Festlandpflegedienst. Durch die Initiative „Telepflegezentrale“ werden die Pflegeorganisationen zunächst mit entsprechender Technik ausgestattet und auf den digitalen Einsatz vorbereitet. In einem zweiten Schritt folgt dann die Einbeziehung Dritter, also externer Experten, über die Telepflegezentrale.
Schon die elektronische Videosprechstunde ist etwas mehr als reine Videotelefonie. Sie umfasst auch die Terminplanung und das virtuelle Wartezimmer. Längerfristig sollen auch weitere telemedizinische Angebote eingebettet werden. Wichtig ist insbesondere die Beratung. Aktuell wird zwar an vielen Stellen die technische Infrastruktur aufgebaut, aber ein Tablet alleine macht eben noch keine Telepflege. Die Telepflegeinitiative bietet daher zunächst eine kostenfreie Unterstützung bei der Installation von Videosprechstunden an. Denn oft hakt es bei den Einrichtungen beziehungsweise den Ärztinnen und Ärzten nicht an der Ausstattung, sondern an dem Anwendungswissen oder auch an fehlenden Prozessen und der Rechtssicherheit bei der Umsetzung.
Es sollte einen flächendeckenden Zugang zur Televersorgung geben, nicht nur durch die Bereitstellung von Technologie. Die Televersorgung muss systematisch in die pflegerischen Prozesse integriert werden, zum Beispiel durch Onlinesprechstunden oder durch die Beratung durch medizinisches Fachpersonal. Außerdem ist es nötig, dass das Leistungen der Telepflege auch abgerechnet werden können. Nur dann kann sich die telepflegerische Gesundheitsversorgung auf Dauer etablieren.
Derzeit suchen wir nach Verstetigungsmöglichkeiten der Telepflegezentrale beispielsweise über weitere Förderanträge.
Das Pflegeinnovationszentrum (PIZ) integriert sich in ein hervorragendes Partnernetzwerk in der Region Oldenburg, mit dem es mit vielen weiteren Akteuren im Gesundheitswesen und in der Televersorgung verbunden ist. Daher haben wir uns spontan schon zu Beginn der Corona-Pandemie mit den Pflegepionieren zusammengetan, um die Erfahrung in Pflege, Telepflege und Technologien in der Pflege zusammenzubringen. Die bedrohlichen Wochen des Ausbruchs und des Lockdowns haben gezeigt, welche wichtige Rolle telemedizinische und telepflegerische Versorgung, so wie wir sie auch im Pflegeinnovationszentrum entwickeln und erproben, spielt.
Webseite der Telepflegezentrale
Projektseite Pflegeinnovationszentrum (PIZ)
Bekanntmachung Zukunft der Pflege
Prof. Dr. Susanne Boll-Westermann ist Professorin für Medieninformatik und Multimedia-Systeme an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg und Mitglied im Vorstand des Oldenburger Instituts für Informatik (OFFIS). Zusammen mit Prof. Dr.-Ing. Andreas Hein und Dr.-Ing. Tobias Krahn koordiniert Susanne Boll das Pflegeinnovationszentrum (PIZ). Um in der schweren Zeit die Praxis zu unterstützen, beteiligen sich die Verbundpartner des PIZ und insbesondere das OFFIS - Institut für Informatik an der Initiative "Telepflegezentrale".