Im Rahmen des Projekts KoFFI entstand ein umfassender Ethik-Leitfaden, der als wertvolle Grundlage für die weitere Forschung im Bereich der Mobilität dient. Wir sprachen mit Dr. Julia Maria Mönig (Institut für Digitale Ethik (IDE) an der Hochschule der Medien Stuttgart und Mitautorin des Leitfadens) und fragten nach ihren Erfahrungen im Projekt und Ratschlägen für die Zukunft.
Hochautomatisierte Fahrzeuge sind komplexen Verkehrssituationen heute häufig noch nicht gewachsen. Im Projekt KoFFI wurde ein intelligentes Assistenzsystem entwickelt, das solche Situationen erkennen und durch eine vertrauenswürdige Fahrer-Fahrzeug-Kooperation lösen kann. Die Forscherinnen und Forscher von KoFFI haben von Beginn an in interdisziplinären Teams aus Technik-, Ethik- und Rechtsexpertinnnen und –experten gearbeitet.
Ethische Leitlinien sollten für die Entwicklung aller neuen Technologien eine Rolle spielen. Für die Mobilität der Zukunft ist relevant, dass sich Entwickelnde gemeinsam mit unterschiedlichen Stakeholdern Gedanken dazu machen, wie wir uns in Zukunft fortbewegen wollen. Neben Nachhaltigkeitsaspekten stellen sich durch die zunehmende Automatisierung Fragen, die auch die Gestaltung unserer Gesellschaft betreffen: Wie sollen und können fahrerlose Fahrzeuge mit Passantinen und Passanten und anderen Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmern kommunizieren? Welchen Beitrag können alternative Fahrzeugnutzungskonzepte, wie z. B. Carsharing, zum Umweltschutz und nachhaltiger Ressourcennutzung leisten? Diese und weitere potenzielle ethische Konflikte müssen frühzeitig bei der Technikentwicklung bedacht und über den gesamten Entwicklungsprozess thematisiert werden. Eine Möglichkeit hierfür ist die Formulierung ethischer Leitlinien, die dann auch zur ethischen Sensibilisierung der Beteiligten dienen können und gemeinsam vereinbarte Maßstäbe für das eigene Handeln setzen können. Diese Leitlinien wiederum können wiederholt konsultiert werden, z. B im Rahmen von Qualitätssicherungsprozessen.
Im KoFFI-Code gehen wir als Teil eines Ethics-by-Design-Ansatzes von wertebasierter Technikgestaltung aus In diesem Ansatz wird Ethik von Beginn an, projektbegleitend und auch nach der Markteinführung – Stichwort Post-Market-Surveillance - berücksichtigt. Dies bedeutet, dass vor und bei der Technikentwicklung reflektiert werden sollte, welche Werte wir unbewusst in die Technik einschreiben und welche wir bewusst einschreiben sollten und wollen. Am Beispiel der Mikromobilität könnte das nun heißen, dass die Frage gestellt wird, unter welchen Bedingungen diese einen Beitrag zu einer inklusiven Gesellschaft von morgen leisten kann, in der wir leben wollen. Also z. B. Mikromobilität leistet dann einen Beitrag zum Umweltschutz, wenn die Fortbewegungsmittel tatsächlich als Alternative zum Individualautoverkehr genutzt werden, und nicht nur um die letzten Meter nicht zu Fuß gehen zu müssen. Wenn aber die Bedingungen geschaffen werden, dass hierdurch beispielsweise die Barrierefreiheit erhöht wird, weil etwa Menschen mit einer Gehbehinderung weitere Strecken zurücklegen können, dann könnte das Ziel einer wertebasierten Technikentwicklung sein, die Gesellschaft inklusiver zu machen. Als Wert wäre hier dann z. B. Gerechtigkeit, also der gerechte Zugang betroffen. Außerdem sollten nicht nur die Herstellung, Nutzung und Entsorgung ökologisch nachhaltig erfolgen, sondern es sollten auch bei der Produktion sichere Arbeitsbedingungen herrschen und die Rohstoffe aus überprüfbaren Quellen und nicht aus Konfliktregionen stammen. Somit sind auch hier die Werte Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit Ziele und dementsprechend Handlungsorientierungen, die angestrebt werden.
Die Zusammenarbeit war spannend und dem Feedback unserer Kolleginnen und Kollegen nach zu urteilen für beide Seiten gleichermaßen bereichernd. Wir haben sehr positive Erfahrungen gemacht und dennoch gab es auch – wie immer in zwischenmenschlichen Situationen – Hürden, die überwunden werden mussten, manches Mal sicherlich auch Unverständnis. Ich denke zum Teil wurde auch aus unserer „Gewohnheit“ heraus mal nebeneinanderher gearbeitet und geforscht, auch wenn es mehr Schnittmengen gegeben hätte. Aber wir haben meines Erachtens im diesem Projekt im Konsortium sehr erfolgreich Inter- und Transdisziplinarität gelebt.
Es ist ein entscheidender Teil eines komplizierten Schließmechanismus, dessen genaue Beschaffenheit derzeit noch kontinuierlich hinterfragt, evaluiert und weiterentwickelt werden muss. Weitere Bestandteile wären Ethik-Kommissionen, Stakeholderbeteilung und Co-Creation-Ansätze. Zur Verstetigung wäre außerdem eine Art Ethik-Hotline wichtig, z. B. in dem Sinne, dass Entwicklerinnen und Entwickler bei einem Ethik-Institut anrufen können und Fragen stellen. Begleitend bräuchte es weitere Workshops zu ethischen Fragen. Teil des Schließmechanismus müsste dann, wie oben erwähnt, auch eine Art Post-Market-Surveillance sein – diese aber nicht unbedingt im Sinne einer Ethik-Aufsicht, die als Ethik-Polizei oder Ethik-Nanny auftritt, sondern von gleichberechtigten Partnern – insofern wären wir hier wieder bei der gleichberechtigten Beteiligung von ELSI-Partnern von Beginn an.
Ich war gespannt auf das Projekt und habe mich ehrlicherweise gefragt, wie Ethik umgesetzt werden kann, ohne im Nachhinein als bloßes Feigenblatt zu dienen oder den Entwickelnden eine Art ethischen Freifahrtschein zu geben. Es gab dann auch Stimmen, die meinten, dass die Beteiligung von ELSI-Partner nicht notwendig sei, dass gleichsam die ethischen Fragen ja gelöst werden könnten, indem man sich mal zusammensetzt und darüber spricht. Quasi einem Klischee entsprechend ist auf einer Konferenz auch einmal ein Ingenieur auf mich zugekommen, der ohne Ironie gefragt hat, ob ich ihm sagen könne, wie er Ethik in Zahlen oder Skalen umsetzen könne. Aber bei den meisten Kolleginnen und Kollegen haben wir offene Türen eingerannt in dem Sinne, dass ein grundsätzliches Interesse an ethischen Fragen bestand und der Wille „ethische Produkte“ zu entwickeln als Beitrag zu einer besseren digitalen Zukunft. Insgesamt war für mich auch interessant, wie viel sowohl in Bezug auf die technische Entwicklung als auch ethisch in den letzten Jahren doch passiert ist.
Wir würden uns natürlich freuen, wenn der KoFFI-Code von anderen Projekten eingesetzt wird, um die eigenen Projekte ethisch zu hinterfragen. Hier darf ich sicher auch auf unser Projekt ELSI-SAT verweisen, in dem Kolleginnen und Kollegen des Instituts für digitale Ethik einen u.a. auf dem KoFFI-Fragenbogen basierenden Fragenkatalog entwickelt haben, der eine automatisierte Auswertung erlaubt. Aber insgesamt ist Ethik eben immer Aushandlungssache. Wertvorstellungen ändern sich im Laufe der Zeit und wir müssen uns darüber verständigen, in welcher Gesellschaft wir leben wollen. Es gibt kein „einmal ethisch, immer ethisch“. Allerdings gibt es kulturübergreifende Grundprinzipien, auf die wir uns einigen können und z. B. mit der allgemeinen Menschenrechtserklärung geeinigt haben. Die müssen wir uns ständig ins Gedächtnis rufen. Für ethische Fragen muss sensibilisiert werden und wir Ethikerinnen und Ethiker müssen offen bleiben und uns für gesellschaftliche und technische Fragen interessieren. Nur dann kann wertebasierte Technikgestaltung gelingen.
Das Interview wurde im Februar 2021 geführt.