Interview mit Mario Czaja: „Keine Schere im Kopf“

Mario Czaja, Senator a.D. für Gesundheit und Soziales in Berlin sowie Gründer und Geschäftsführer der BrückenKöpfe in Berlin, berät Start-Ups bei der marktreifen Entwicklung von Pflegeinnovationen. Beim Innovationswettbewerb der Clusterkonferenz Zukunft der Pflege 2019 saß er in der Jury.

Portrait Czaja
© Mario Czaja/Die BrückenKöpfe

Das Interview wurde im September 2019 geführt.

Herr Czaja, das BMBF Cluster „Zukunft der Pflege“ zielt ab auf einen erfolgreichen Transfer von innovativen Technologien aus der Forschung in die Pflegepraxis. Wie kann dieser besser gestaltet werden?

Damit innovative Technologien in der Praxis ankommen, braucht man neben der Idee und einem passenden Geschäftsmodell vor allem auch geeignete Rahmenbedingungen für den breiten Einsatz in der täglichen Praxis. Dies gilt insbesondere im stark fragmentierten Bereich der Anbieter von Pflegedienstleistungen und -produkten, die für den Einsatz innovativer Technologien eine entsprechende Planungssicherheit hinsichtlich der Finanzierung und Erstattungs- bzw. Abrechnungsfähigkeit benötigen. Eine engere Abstimmung zwischen dem BMBF und BMG mit den Beteiligen im Gesundheitswesen – von der Wohlfahrt bis hin zu privaten Pflegeeinrichtungen - könnte zum Beispiel helfen, nicht nur innovative Ideen zu fördern, sondern auch die Anschlussfähigkeit und damit die Durchdringung auf Seiten der Anbieter zu erhöhen. Sonst droht vielen guten Ideen die Luft auszugehen, weil die Durchdringung zu gering bleibt.

Begleitend zur 2. Clusterkonferenz haben Sie in Zusammenarbeit mit dem PPZ Berlin einen Innovationswettbewerb ausgelobt. Sind Start-Ups für Sie prädestiniert und notwendig, um im Gesundheitswesen Innovationen in die Praxis zu bringen?

Ja, Start-Ups entstehen oft aus einer Nutzersicht und gehen unvoreingenommener an neue Lösungsansätze heran. Sie haben keine Schere im Kopf, weil eine Idee zum Beispiel das bestehende Geschäftsmodell gefährdet. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass sich nur die wenigsten Ideen in der Praxis bewähren, weil es oft an pflegespezifischen Kenntnissen mangelt. Innovationswettbewerbe sind deswegen sehr hilfreich, um die Spreu vom Weizen zu trennen und den Fokus auf die Ansätze zu legen, die tatsächlich zu echten und nachhaltigen Verbesserungen für Pflegebedürftige und Pflegende führen können.

Welche Rolle spielen dabei die BrückenKöpfe?

Die BrückenKöpfe sind Wegbereiter für sinnvolle Ideen im Gesundheitswesen. Damit die Ideen in der Versorgung ankommen, entwickeln wir tragfähige Geschäftsmodelle mit Start-Ups, etablierten Anbietern und gemeinnützigen Organisationen. Bei Startups beteiligen wir uns auch selbst, wenn wir an die Idee glauben.

Wo genau sind die wichtigen Berührungspunkte zwischen Start-Up und den beteiligten Akteuren im Gesundheitswesen, speziell im Bereich Pflege?

Start-Ups müssen bereits sehr früh mit zahlreichen Beteiligten sprechen. Das gilt gerade im selbstverwalteten deutschen Gesundheitswesen. Neben Nutzern und Anbietern müssen Start-Ups zusätzlich noch mit Kostenträgern, Verbänden und Investoren sprechen und unterschiedlichste Interessen in Einklang bringen, damit ihre Ideen in der Versorgungspraxis ankommen. Viele Gründer stoßen angesichts der Komplexität des deutschen Gesundheitssystems dabei an ihre Grenzen und suchen Unterstützung. Zumal viele dieser Aufgaben wenig mit der erfolgreichen technologischen Entwicklung der Ideen zu tun haben. Hier versuchen wir mit unserer Kompetenz als BrückenKöpfe zu helfen.

Wie kommen Start-Ups und weitere Unternehmen mit ihren Lösungen in Kontakt mit den etablierten Akteuren der Pflege, also Wohlfahrt und privaten Anbietern?

Das kann man so pauschal schwer sagen. Wichtig ist, dass man die Vorteile für Nutzer und Anbieter klar beschreiben und belegen kann. Über welchen Kanal man dann Kontakt aufnimmt, kommt auf den Einzelfall an. Hilfreich ist das zunehmende Interesse am Thema Pflege und die Bereitschaft, die Pflege auch finanziell zu fördern. Das Wachstum wird hier in den nächsten Jahren stärker sein als im Gesundheitsbereich.

Sie kennen bereits die kreativen Ideen aus den vielen Einreichungen im Innovationswettbewerb. Sind hier die richtigen Ansätze dabei?

Es sind viele spannende Ansätze in den eingereichten Produkten erkennbar. Vor allem finde ich es gut, dass diese zum Teil bereits sehr konkret durchdacht sind. Dennoch bleiben auch hier oftmals Fragen offen hinsichtlich der Integration in den Pflegealltag und der Skalierbarkeit. Wir sind also wieder bei der Problematik der Integration von Technologien in den Pflegealltag.
 

Ein letzter Blick in die Zukunft: Was sind die nächsten Schritte für einen erfolgreichen Transfer von wissenschaftlichen Erkenntnissen und Pflegeinnovationen in die Pflegepraxis?

Ein wichtiger Schritt ist die Schaffung von Infrastruktur und Ökosystemen, auf deren Basis innovative Ideen schneller und einfacher in die Praxis kommen und Klarheit darüber, wie und wann die Leistung finanziert werden kann. Und es ist aus meiner Sicht zwingend erforderlich, dass auch immer die Akzeptanz und eine Arbeitserleichterung für die Pflegenden besteht, ebenso wie Lebensqualitätsverbesserungen für die zu Pflegenden selbst.

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