Interview mit Prof. Dr. Frank Steinicke: Technik soll Wünsche in der realen Welt erfüllen

Prof. Dr. Frank Steinicke hat die Professur für Mensch-Computer-Interaktion im Fachbereich Informatik der Universität Hamburg inne.

Portrait Frank Steinicke
© Frank Steinicke

Prof. Dr. Frank Steinicke erklärt, wie er durch virtuelle Realität mehr Zeit mit echten Menschen verbringen kann. Das Interview wurde im Mai 2019 geführt.

Sehen Sie die Entwicklung unserer Gesellschaft eher in Richtung Utopie oder Dystopie?

Ganz klar Utopie. Aber natürlich sehe ich auch die Gefahren, die von Technologien ausgehen. Spannend ist, dass gerade Künstliche Intelligenz und Virtual Reality zu den größten Dystopien in der Science-Fiction-Literatur geführt haben. In praktisch jedem Science-Fiction-Film zum Thema KI und VR übernehmen entweder Maschinen die Welt oder die ganze Welt wird dem Menschen nur vorgegaukelt wie bei Matrix. Diese vollendete KI als Dystopie ist natürlich nicht das Ziel, das wir als Wissenschaftler erreichen wollen. Aber auf dem Weg dahin sehe ich auf jeden Fall eine Utopie. Unsere Aufgabe als Forscher ist es dafür zu sorgen, dass Technologien zu etwas Gutem eingesetzt werden und dass Gefahren und Risiken rechtzeitig sichtbar werden. Wichtig ist aber der nötige Abstand und die richtige Perspektive zur Bewertung. Im Moment besteht zum Beispiel keine Gefahr, dass wir alle Eskapismus betreiben und in die virtuelle Welt fliehen. Es gibt oft Fragen wie hoch die Suchtgefahr von VR ist. Tatsächlich gibt es die Technik seit 60 Jahren und es gibt keinen einzigen Bericht darüber, dass jemand dauerhaft lieber in der virtuellen als der realen Welt leben möchte.

Wie erklären Sie sich die Skepsis vieler Menschen gegenüber neuen Technologien?

Eigentlich ist es seit Menschenbeginn so, dass die Welt in die wir geboren werden, identisch ist mit der Welt in der wir sterben. Ich bin als Farmer geboren und als Farmer gestorben. Zwischendrin gibt es vielleicht einige kleine Erfindungen, aber mein Leben bleibt mehr oder weniger gleich. Seit zwei, drei Generationen hat sich das verändert. Wir werden in einer Welt ohne Internet geboren und gehen aus einer Welt mit autonomen Autos heraus. Unser Gehirn ist nicht trainiert mit solchen riesigen Veränderungen umzugehen. Deshalb ist es nachvollziehbar, dass man bei neuen Technologien erst mal skeptisch ist. Das kenne ich sogar von mir selbst, obwohl ich total technikaffin bin. Wenn meine Gruppe anfängt mit einer neuen Kommunikations-Plattform zum Datentausch frage ich auch erst mal, warum können wir nicht einfach weiter Emails schreiben?

Wie würde eine neue Technologie aussehen, die sie sich wünschen dürften?

So eine Technik sollte mir Wünsche in der realen Welt erfüllen. Ich hätte gerne mehr Zeit mit meiner Familie. Und jede Technologie, die das irgendwie ermöglichen kann, wäre gut. Wenn ich zum Beispiel durch eine Datenbrille mit meinem Kind zusammen spielen könnte, so dass wir beide ein gutes soziales Präsenz-Gefühl haben, auch wenn wir nicht wirklich zusammen sind.

Gibt es für sie eine Technologie, die nicht entwickelt werden darf?

Die „Dual use“-Fragestellung gibt es bei jeder Technologie. Jede hilfreiche Technik kann gleichzeitig auch für etwas Schlechtes benutzt werden. Ganz intensiv haben wir das bei der Atomenergie erlebt und natürlich gilt es bei jeder Art von militärischer Anwendung. Das fängt aber bei ganz trivialen Sachen an. Das Messer als solches war eine tolle Erfindung und hilft mir morgens mein Marmeladenbrot zu schmieren. Es ist aber auch eine Waffe. Deshalb würde ich niemals sagen, das Messer hätte nie erfunden werden dürfen. Es gibt immer gute und schlechte Szenarien. Und deshalb würde ich nie eine einzelne Technologie verbannen, sondern immer fordern, dass jegliche Technologie nur für gute Zwecke eingesetzt werden darf.

Denken Sie, dass die Technologie-Entwicklung einen Einfluss auf die Demokratie hat?

Also einen Einfluss gibt es bestimmt, ob das ein guter oder ein schlechter Einfluss ist bleibt die Frage. Es gibt viele Diskussionen über die Manipulation von Wahlen durch Chatbots. Eine Beeinflussung von Meinungsbildern haben wir natürlich schon immer gehabt, das gibt es in der Werbung seit Ewigkeiten. Virtuelle Realität kann das wahrscheinlich in Zukunft noch weiter treiben. Wenn ich etwas auf immersive Weise in der VR erlebe, wird der Eindruck stärker. Da gilt wieder das gleiche, jede Technologie kann für etwas Gutes oder etwas Böses eingesetzt werden. Ich glaube, es ist sehr wichtig dafür zu sorgen, dass die nächste Generation diese Technologien vernünftig einschätzen kann und auch weiß wie Medien zustande kommen. Wenn jemand Forenbeiträge liest und weiß, dass es möglich ist solche Texte zu fälschen, kann er abstrahieren und  darüber nachdenken, ob er es wirklich mit echten Menschen zu tun hat. Dieses informatische Verständnis und Digitalisierungs-Verständnis ist nötig, um danach überhaupt eine sinnvolle ethische und gesellschaftliche Diskussion führen zu können, welche Technik gut ist und welche nicht. Wenn mir diese Grundlagen fehlen fange ich an in Dystopien zu denken.

Brauchen sie privat auch einmal eine Auszeit von der Technik?

Also ganz technikfreie Tage haben wir zuhause noch nicht eingeführt. Ich trage selber Geräte wie Wearables und in der Regel habe ich auch immer einen Online-Zugang. Ich fühle mich aber auch nicht gestresst durch Technologie, problematisch finde ich eher den Stress, der über Technologie vermittelt wird. Ich erfahre zum Beispiel von anstehenden Aufgaben früher durch Technologie. Ansonsten wüsste ich nichts davon bis zum nächsten Tag im Büro und manche Aufgaben hätten sich bis dahin vielleicht sogar von selbst erledigt.

Nutzen Sie soziale Medien?

Ich benutze sie schon, aber sehr Old School. Ich habe keinen Instagram oder Pinterest Zugang, aber Facebook und Twitter. Ich bin sozusagen eine Generation zurück. Ich nutze das aber sehr sparsam, private Sachen poste ich fast gar nicht, eher beruflich. Da finde ich es spannend, dass man recht schnell neue Informationen bekommt oder Interessantes von Kollegen erfährt. Dafür nutze ich solche Plattformen sehr stark. Als soziales Medium zum Vernetzen eher weniger.

Glauben Sie, dass die Vernetzung künftig noch mehr wird?

Ich glaube ja und es wird auch viel realistischer werden. Das ist was Facebook im Bereich virtuelle Realität momentan proklamiert. Facebook hat vor fünf Jahren das Startup Oculus gekauft, weil sie ganz klar treiben in die Richtung VR für eine Plattform, auf der wir in Zukunft miteinander in Kontakt treten werden. Und das ist natürlich sehr spannend. Ich habe Bekannte und Freunde auf der ganzen Welt, die ich zwar auf Konferenzen sehe, ansonsten aber leider selten. Ich muss lange fliegen bis ich meine Kollegen in Brasilien, Sydney oder Tokyo treffe. Wenn ich stattdessen eine Datenbrille aufsetzen und virtuell in ihrem Labor stehen könnte, wäre das nicht nur nachhaltig für die Umwelt, ich könnte so auch mehr Zeit für meine Familie und die wirklich wichtigen Dingen im Leben gewinnen.

Was könnte ihrer Einschätzung nach ein spannendes Thema für den nächsten Zukunfstkongress in zwei Jahren sein?

Ich hoffe, dass die Themen Künstliche Intelligenz und virtuelle Realität dann wirklich in der Gesellschaft verankert sind und wir über das nächste Thema sprechen können. Die Technologie ist immer näher an uns heran gekommen. Das ging von Rechenzentren hin zu grafischen Arbeitsplätzen, dann kamen Laptops, Mobiltelefone und mittlerweile Wearables wie Smartwatches an unserem Körper. Da ist die Vermutung nahe, dass in zwei Jahren die Technologie noch näher an uns heran kommt, vielleicht sogar in uns implantiert ist. Es gibt zum Beispiel RFID-Chips zum Implantieren, mit denen man Bezahlen oder sein Auto öffnen kann. Solche implantierten User-Interfaces werden thematisch wahrscheinlich die nächsten zwei bis fünf Jahren dominieren.