Interview mit Stefan Hoffmann und Dr. Ander Ramos-Murguialday: Endlich Bewegung in der Therapie von Schlaganfall-bedingter Armlähmung

Weltweit leiden Millionen Menschen in Folge eines Schlaganfalls unter einer chronischen Armlähmung, die sich durch herkömmliche Therapien nur bedingt behandeln lässt. Betroffene müssen daher oft mit den massiven Einschränkungen leben. Das Projekt AMoRSA entwickelte eine Rehabilitationsplattform, die echte Therapieerfolge verspricht. Im Interview: Stefan Hoffmann und Dr. Ander Ramos-Murguialday.

Stefan Hoffmann
Stefan Hoffmann, Head of Studio Promotion Software GmbH und Projektkoordinator im Projekt AMoRSA© Hoffmann/ Promotion Software GmbH

Worum geht es im Projekt AMoRSA?

Hoffmann: Das Projekt AMoRSA beschäftigt sich mit der Rehabilitation von Schlaganfallpatientinnen und -patienten. Allein in Deutschland leiden hunderttausende Menschen unter schwersten chronischen Armlähmungen in Folge eines Schlaganfalls. Oft helfen herkömmliche Therapieansätze jedoch nur bedingt, so dass die Betroffenen ein Leben lang auf fremde Hilfe im Alltag angewiesen sind. Mit unserer Forschung im Projekt AMoRSA möchten wir Patientinnen und Patienten langfristig helfen, ihre Bewegungsfähigkeit dauerhaft zu verbessern. Dazu haben wir eine adaptive und motivierende Rehabilitationsplattform entwickelt, mit der wir schwerste Lähmungen behandeln können. Diese besteht aus modernster Neurotechnologie, die mit einem Exoskelett und einem innovativen Videospiel verknüpft ist.

Wie funktioniert das im Projekt AMoRSA entwickelte Neuro-Training?

Ramos-Murguialday: Das Neurotraining basiert auf jahrzehntelanger Forschung in den Neurowissenschaften. Dabei ist ein grundlegender Prozess des Nervensystems für uns besonders relevant: Das Hebbsche Lernen, welches oft mit dem Satz „What fires together, wires together“ zusammengefasst wird. Wenn Nerven zusammen aktiv sind, stärken sich ihre Verbindungen. Genau das ist der Effekt, den wir erzielen wollen. Bei den Betroffenen sind die Verbindungen von den motorischen Zentren im Gehirn zu den Muskeln sehr schwach – oder sie sind komplett zerstört. Der Wunsch nach einer Bewegung des Arms erreicht daher die Muskeln nicht. Folglich bleibt eine Reaktion aus. Durch das Neurotraining können die Muskeln dennoch angesprochen werden: Der Bewegungsimpuls wird über Elektroenzephalografie-Sensoren (EEG), die am Kopf der Patientin bzw. des Patienten angebracht sind, erkannt und in eine Bewegung des Exoskeletts umgesetzt. Der Arm ist in dem Exoskelett fixiert. Das Gehirn erkennt dabei innerhalb von wenigen 100 Millisekunden, dass die Bewegung stattgefunden hat, was genau der Zeit entspricht, die das Signal vom Gehirn zu den Muskeln auch auf natürlichem Wege benötigt hätte. Durch dieses Zusammenspiel von Intention und positivem Feedback werden die gestörten Verbindungen der Nervenzellen Bewegung für Bewegung verstärkt.

Was ist neu an der von Ihnen entwickelten Rehabilitationsplattform?

Hoffmann: Nun, unser System ist sehr leistungsfähig. Die „herkömmliche“ Behandlung beschränkt sich in den meisten Fällen auf den Versuch, einen bestimmten Grad an Bewegungsfähigkeit aufrechtzuerhalten und beispielsweise Auswirkungen wie Spastiken zu lindern. Mit unserem System können wir jedoch in die „Offensive“ gehen und den Betroffenen eine Verbesserung ihrer Bewegungsfähigkeit ermöglichen. Dies wird möglich durch die Kombination unterschiedlicher Therapie-Elemente: Die Neurotechnologie vermittelt uns einen wertvollen Einblick in die Vorgänge im Nervensystem, der therapeutischem Fachpersonal normalerweise verborgen bleibt. Weil wir auf diese Weise Gehirnsignale erkennen und deuten können, sind wir im Stande, sie zur Steuerung des Exoskeletts einzusetzen und mit den Patientinnen und Patienten alltagsrelevante Bewegungen zu trainieren. Zudem sorgt die Verzahnung mit einem innovativen Videospiel für die nötige Motivation, indem Spielaufgaben generiert werden, die vor einem großen Bildschirm und mithilfe von einfachen Bewegungen gelöst werden können. Das Resultat der Bewegungen wird dabei wieder als Spielfortschritt gewertet und belohnt. Bisher gibt es noch kein vergleichbares System in der Regelversorgung.

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Dr. Ander Ramos-Murguialday, Universitätsklinik Tübingen© Ramos-Murguialday

Wie wichtig ist der Gamification-Ansatz für den Rehabilitationsprozess?

Hoffmann: Auch wenn die Probandinnen und Probanden durch die Einschränkungen, die sie tagtäglich erleben, bereits eine hohe Eigenmotivation mitbringen, steuert der Gamification-Ansatz eine weitere, zweite Motivationsebene bei. Gerade durch die Länge und die Monotonie des Rehabilitationsprozesses entstehen oft Motivationslöcher, über die ihnen diese zweite Motivationsebene möglicherweise hinweghilft. Die in AMoRSA verwendeten Motivationsmechanismen unterscheiden sich dabei nicht grundlegend von denen in den sogenannten Free To Play-Spielen á la Candy Crush, mit denen weltweit Milliardenumsätze erzielt werden. Bei uns wird aber kein Geld investiert, sondern Bewegung und Zeit.

Wie erfolgreich ist das System?

Ramos-Murguialday: In den bisherigen Tests hat sich bestätigt, dass merkliche Verbesserungen möglich sind. Nach intensivem vierwöchigem Training haben sich bei fast allen Patientinnen und Patienten technisch messbare Veränderungen feststellen lassen. Einer unserer Patienten, konnte anfangs seine Hand gar nicht bewegen. Nach 20 Tagen Training konnte er zumindest mit seinem Daumen wieder kleinere Bewegungen ausführen. Leider sind aufgrund der Corona-Lage derzeit all unsere Studien pausiert. Interessierten empfehlen wir, einen Blick auf die Homepage unserer Arbeitsgruppe zu werfen. Dort werden wir Informationen über weitere Evaluationsrunden veröffentlichen.

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In der Rehabilitationsplattform des Projekts AMoRSA kommt modernste Neurotechnologie gepaart mit einem Exoskelett und einem innovativen Videospiel zum Einsatz.© Promotion Software GmbH

Ist es theoretisch möglich, mit dem AMoRSA-System die komplette Bewegungsfähigkeit einer Hand wiederherzustellen?

Ramos-Murguialday: Das ist sehr abhängig von den Patientinnen und Patienten. Jemand, der mit einer vollständig und chronisch gelähmten Hand mit dem Training beginnt, wird mit dem jetzigen Stand der Technik und bei bestem Verlauf leider nie wieder die motorischen Fähigkeiten erlangen können, die beispielsweise für das Klavierspiel notwendig sind. Allerdings sind Erfolge, die den Einsatz der Hand im Alltag ermöglichen, wie zum Beispiel das Herunterdrücken eines Türgriffs oder das Festhalten eines Glases zum Trinken durchaus möglich.

Wie geht es weiter mit dem Projekt AMoRSA? Planen Sie weiterzuforschen?

Hoffmann: Das Projekt AMoRSA ist noch nicht abgeschlossen. In der restlichen Projektlaufzeit beschäftigen wir uns mit einer Home-Use-Variante des AMoRSA-Systems. Das System setzt einige bereits erzielte Fortschritte bei der Rückgewinnung der Bewegungsfähigkeit voraus und arbeitet mit vereinfachter Sensorik, damit es ohne anwesenden Therapeuten zu Hause nutzbar ist. Zudem startete am 1. Juni 2020 ein indirektes Nachfolgeprojekt namens „Subliminal Home Rehab“, welches sich ebenfalls auf die Heimrehabilitation fokussiert.

Das Interview wurde im Juli 2020 geführt.

 

Weitere Informationen:

AMoRSA Projektsteckbrief

AMoRSA Ergebnissteckbrief

Bekanntmachung "Interaktive körpernahe Medizintechnik" (IKM)

Website RamosLAB