Interview mit Hermann Gerwig: VR fördert Inklusion neurodivergenter Menschen

Das Forschungsteam des Projekts UFO hat eine VR-Anwendung entwickelt, die neurodivergente Menschen im Umgang mit Alltagssituationen unterstützt. Wir sprachen mit Hermann Gerwig von der auticon Deutschland GmbH, der uns die Hintergründe erläuterte.

© NIRx GmbH

Herr Gerwig, was verbirgt sich hinter dem Projektnamen UFO?

Bei UFO setzen wir virtuelle Realität ein, um Menschen die berufliche Inklusion zu erleichtern. UFO steht für „Einsatz neUrophysiologischer Schnittstellen und taktil unterstützter virtueller Realität zur Förderung von beruflicher InklusiOn“. 

Konzentrieren Sie sich dabei auf eine bestimmte Zielgruppe?

Mit dem Projekt sprechen wir Menschen im Neurodivergenzspektrum an. Dazu gehören unter anderem Autistinnen und Autisten, aber auch Menschen im ADHS-Spektrum, das eine große Überlappung mit dem autistischen Spektrum hat. Mit unserer Forschung möchten wir unter anderem ein Bewusstsein für das Thema Neurodivergenz schaffen und es positiv besetzen. Die Firma auticon Deutschland GmbH ist Teil des Projektkonsortiums und beschäftigt ausschließlich Menschen im Autismus-Spektrum als IT-Consultants und setzt sie in Kundenprojekten ein. Die Consultants entwickeln, testen und validieren Software, arbeiten als Data Analysts oder Date Scientists, im Business Process Management oder in der Cyber Security – wir sind daher in diesem Projekt unsere eigene Zielgruppe. 

Ist virtuelle Realität für diese Zielgruppe geeignet?

Ja, sogar besonders gut: Die VR-Welt hat den Vorteil, dass sie äußere Reize ausschließt. Nutzende können sich darin frei bewegen, ihre Umgebung erkunden und die Trainings spielerisch erleben.

Wie soll die VR-Anwendung funktionieren?

Die Teilnehmenden trainieren Alltagssituationen wie Arztbesuche oder Bewerbungsgespräche, in die wir regelmäßige Störungen eingebaut haben. Dadurch möchten wir erreichen, dass sie immer besser mit alltäglichen Situationen umgehen können und sich nicht so schnell aus der Ruhe bringen lassen. Von dem Training versprechen wir uns, dass die Teilnehmenden anschließend wissen, dass sie mit der Situation zurechtkommen können. 

Neben der Reizinhibition stärken wir in einem zweiten Training die (Dauer-)Aufmerksamkeit: Hier lassen wir die Teilnehmenden Aufgaben lösen, bei denen sie regelmäßig unterbrochen werden. 

Wie verhindern Sie, dass Sie die Teilnehmenden überfordern?

Wir messen während des Trainings kontinuierlich die Gehirnaktivitäten und die Sauerstoffsättigung im Blut. So ermitteln wir das Stresslevel und können das Programm entsprechend anpassen. Wir geben den Anwendenden Neurofeedback, über das sie die Selbstregulation lernen und den Trainingsverlauf in Echtzeit beeinflussen. Zudem intensivieren wir das Erlebnis über taktiles Feedback mittels Aktuatoren, also Vibrationselementen.

Wie geht es nach Projektende weiter mit UFO?

Wir möchten weiter daran arbeiten, die Feedbackmöglichkeiten der VR-Anwendung stärker und einfacher zu personalisieren. Ziel ist es weiterhin, dass das Forschungsergebnis erwachsene Autistinnen und Autisten im beruflichen Umfeld unterstützt und Unternehmen Lösungen erhalten, mit denen sie Barrieren für neurodivergente Fachkräfte abbauen und eine echte Gleichstellung im Job erreichen können.

Weitere Informationen

Projektsteckbrief
Ergebnissteckbrief
Projekt-Website

Das Interview wurde im April 2024 geführt.